Griffbereite Informationen – Schnell, einfach und bequem

Die klassische Kapitalmarktforschung geht vom Homo oeconomicus aus; sie setzt voraus, dass die Marktteilnehmer ihre Entscheidungen rational bzw. frei von emotionalen Einflüssen treffen. Als ob das außer-Acht-Lassen psychologischer Einflüsse bei der Entscheidungsfindung nicht genug wäre, wird auch noch unterstellt, dass der vermeintlich sachlich-objektiv denkende „Modell-Mensch“ Zugriff auf alle Informationen habe und flexibel auf Veränderungen reagieren könne. In unseren modernen Zeiten massenhaften Informationsangebots, Schnelllebigkeit und komplexer Verflechtungen der Zusammenhänge wohl kein leichtes Unterfangen. Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Artikel-Serie, die sich mit irrationalen Verhaltensanomalien bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen sowie diesbezüglichen adäquaten Gegenstrategien auseinandersetzt – das erste Thema ist die so genannte Verfügbarkeitsheuristik.


Nehmen wir an, dass in den Massenmedien aktuell ausgiebig über einen dramatischen Flugzeugabsturz berichtet wird. Eilmeldungen und Sondersendungen zu dem Unglück bestimmen die aktuelle Nachrichtenlandschaft. Viele Menschen, die am Flughafen auf ihren Check-In warten, werden wohl ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie daran denken, gleich in ein Flugzeug steigen zu müssen. Passagiere mit Flugangst werden vermutlich deutlich nervöser sein als sonst, wenn sie die Bilder aus den Breaking-News noch frisch im Kopf haben. An Statistiken, die belegen, dass das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel überhaupt ist, denken in solchen Situationen die Wenigsten.  Ein typisches Beispiel für die so genannte Verfügbarkeitsheuristik, wonach wir die Relevanz einer Information danach beurteilen, wie schnell und einfach sie im Gedächtnis verfügbar ist. Die lebendige Präsenz in der Vorstellung führt dazu, dass Wahrscheinlichkeiten und Häufigkeiten von Ereignissen – wie in diesem Falle eines Flugzeugabsturzes – überschätzt werden. Heuristiken per se sind quasi Daumenregeln, die angewandt werden, um Komplexität zu reduzieren bzw. schnell zu einem Urteil zu finden.

In einem weiter gefassten Sinne wird auch die Zugänglichkeit von Informationen in den Medien als Maßstab in die Verfügbarkeitsheuristik mit einbezogen. Informationen aus dem Mainstream sind prinzipiell leichter verfügbar. Ihre allgegenwärtige Präsenz führt dazu, dass sie einen stark meinungsbildenden Effekt auf die Bevölkerung ausüben. Naturgemäß besteht dabei ein enger Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit im Gedächtnis und der Verfügbarkeit in den Medien. Die Massenmedien setzen dem Publikum Nachrichten vor, die aktuell, (wegen den Einschaltquoten…) auffällig und anschaulich bzw. leicht verdaulich sein sollen – drei wesentliche Einflussfaktoren auf die kognitive Verfügbarkeit.

oguz_ikn_h2Wenn nichts über den Iran berichtet wird, dann ist auch alles OK. Die Präsidenten der beiden Länder reden ja wieder miteinander und die Regierungen verhandeln. Sie verhalten sich zivilisiert und solange nichts Neues in den Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender zur Prime-Time darüber berichtet wird, ist doch alles in Ordnung. So oder ähnlich könnte der ein oder andere Zuschauer durchaus denken, der sich hauptsächlich über die Massenmedien informiert. Darauf, dass im Hintergrund Cyber-, Agenten- oder Medien-Kriege zwischen den beiden Staaten wüten, wird zurzeit kaum oder gar nicht eingegangen. Nach dem Motto: Wenn es nicht in der Tagesschau aufgegriffen wird, wird es sich bei solchen Aussagen wahrscheinlich nur um irgendwelche Verschwörungstheorien handeln.

Mit der Verfügbarkeitsheuristik gehen diverse Probleme einher. Durch den schnellen Wechsel der Inhalte ist das Interesse an Themen gemeinhin en passant. Überspitzt gesagt, gleichen sich Halbwertzeit der Nachrichten und die entsprechende Erinnerungsdauer im Kurzzeitgedächtnis. Die Sensationslust und der Infotainment-Faktor im Deckmantel des seriösen Journalismus, der nicht selten auf dem Boden der Trivialität und Einseitigkeit verankert ist, verlangt nach dem nächsten Happen an Breaking-News. Vergangenes wird in der schnelllebigen Zeit als obsolet und nutzlos betrachtet. Dabei ist es in der Regel sehr wichtig, weil sich Zusammenhänge und Absichten eher dadurch besser erkennen lassen, wenn der rote Faden in der Vergangenheit befestigt wird. All das bzw. die Kombination aus allem führt dazu, dass der Bezug auf das Gesamtbild verloren geht.

Anstelle von umfassender und tiefgreifender Analyse aller Informationen gibt sich der Nachrichten-„Konsument“ mit dem Erreichen von Mindestanforderungen zufrieden, die an sich nur einen ziemlich oberflächlichen Umgang mit Informationen abbilden. Mit dem Strom zu schwimmen ist nun mal bequem. Genauso  verhält es sich auch in punkto Verfügbarkeitsheuristik. Es ist ebenfalls eine Frage der Bequemlichkeit: Auf Informationen, die sich in unmittelbarer Reichweite befinden – ob im Gedächtnis oder in weit verbreiteten Medien -, ist schlichtweg einfacher zuzugreifen. Erst die Mühen, die man auf sich nimmt, um schwierig zu beschaffende Informationen zu recherchieren bzw. sich mit gegenteiligen Ansichten zu beschäftigen – damit seine Meinung auch auf den Prüfstand stellt -, machen einen demokratisch und politisch aktiv denkenden sowie mündigen Bürger aus.


7 Responses to Griffbereite Informationen – Schnell, einfach und bequem

  1. zeitzeuge sagt:

    Die Nachricht, egal aus welcher Quelle, trägt in der regel die Selektive Sicht desjenigen, der sie veröffentlicht.
    Hier liegt die Krux begraben.
    Es fehlt in aller Regel der Zugang zu den „Rohdaten“ der Information, frei von jeglicher Meinungsfärbung.
    In diesem Sinne kann man sich bei keinem Medium sicher sein, ob die Information frei von Interpretation oder Wegnahmen oder Ergänzungne ist.

  2. Tester sagt:

    Es gibt so viele unterschiedliche Quellen und Deutungen, dass sich beim Zuschauer eine Art kognitive Dissonanz einstellt. Und das völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Nachrichten selbst. Diese Taktik funktioniert eigentlich noch besser als klassische Desinformation.

  3. O. Calli sagt:

    Die Verfügbarkeitsheuristik bildet eine Reihe von Schnittstellen zu den im Kommentar erwähnten Effekten: Kognitive Dissonanz, Selektive Wahrnehmung, Framing (bzw. „Schönfärberei“ durch geschickte Wortwahl), Informationsquellen-Effekte (Agenda-Setting, PR- oder Lobby-Einflüsse…). Der Zusammenhang dazu ist in der Tat gegeben und darüber hinaus führt er dazu, das Gesamtbild besser zusammenzusetzen, da die Funktionsweise des Nachrichten- und Informationswesens dadurch klarer herausstellt wird.

  4. O. Calli sagt:

    Ein kurzer Nachtrag: Die Themen werden in der nächsten Zeit selbstverständlich noch behandelt.

  5. Zartbitter sagt:

    „Durch den schnellen Wechsel der Inhalte ist das Interesse an Themen gemeinhin en passant. Überspitzt gesagt, gleichen sich Halbwertzeit der Nachrichten und die entsprechende Erinnerungsdauer im Kurzzeitgedächtnis. Die Sensationslust und der Infotainment-Faktor im Deckmantel des seriösen Journalismus, der nicht selten auf dem Boden der Trivialität und Einseitigkeit verankert ist, verlangt nach dem nächsten Happen an Breaking-News“

    Ich weiß das ist jetzt riskant, aber passiert das hier
    auf den IKNews nicht auch?

  6. O. Calli sagt:

    Ich verstehe nicht, wieso das riskant sein soll? Ich finde, es ist eine berechtigte Frage…

    Der Satz beschäftigt sich mit der Allgemeinheit; zu behaupten, dass IKNews-Leser per se vor Verfügbarkeitsheuristik etc. gefeit seien, wäre naturgemäß anmaßend. Was jedoch guten Gewissens festgehalten werden kann, ist, dass hier andere Informationen verfügbar sind, als gemeinhin in den Mainstream-Medien. Die öffentliche Meinung wird gewissermaßen durch fundierte Berichte (die Quellen sind für denjenige, der sie überprüfen möchte, auffindbar)in Frage gestellt. Denkanstöße zu Widersprüchlichkeiten mitgegebe.

    Innerhalb der Leserschaft mögen sich viele gleichgesinnte Leser finden, sodass hier eine eigene Strömung entsteht. Doch das Wichtige ist meines Erachtens, dass hier ein Gegengewicht zum Mainstream-Denken aufgestellt wird – wenn man das Gesamtbild aus der Distanz betrachtet.

  7. NeueZukunft sagt:

    Das „Problem“ liegt doch ganz wo anders!
    Wenn man sich die Nachrichten mal genauer anschaut, und dazu zähle ich in dem Zusammenhang auch die alternativen, dann sieht man dass diese medien voll vonnutzlosen Informationen sind.

    Was berüht das mein Leben, wenn in Syrien rumgeballert wird, irgendwo auf der Welt ein Flieger abstürzt, ein Hurrican gerade ne Schneise durch Florida zieht oder ein Erdbeben Tokio dem Erdboden gleich macht?
    Wenn mans genau betrachtet- garnix!

    Viel wichtiger wären doch die Nachrichten, was das Schlagloch durch das ich jeden Tag zur Arbeitfahre macht, wieso die örtlichen Schüler veraltete und zerfetzte Bücher haben, wie der lokale BT-Abgeordnete abgestimmt hat und so weiter. Themen, die wirklich unser Leben betreffen.
    Nur weil ich weiß, dass im mittleren Osten gerade wieder hunderte Menschen massakriert wurden, ändert das nichtd an der Situation, das hilft weder mir noch den Opfern.

    Aber sind wir doch ehrlich: Die örtlichen Belange interessieren doch in wirklichkeit keine Sau! Mich mit eingeschlossen. -Wer liest schon das Ortsblättchen?

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