Teile der Gesellschaft im Wandel: Zeitwohlstand als echter Reichtum?

Einer der größten Irrtümer der klassischen Volks- bzw Betriebswirtschaftslehre ist die Annahme von unendlichem Wachstum – bei endlichen Ressourcen. Ohne Wachstum kommt die Gleichung nicht aus. Nicht ohne Grund hieß die Erklärung immer, alles unter 3% Zuwachs ist eine Rezession. In Zeiten der Krise wird die Formel etwas großzügiger ausgelegt, aber gelehrt wird immer noch der gleiche Tenor. Ohne hier zu tief einsteigen zu wollen, die Wurzel liegt bereits im Geldsystem begründet und ohne einen Wandel bleibt die Notwendigkeit erhalten. Ein Teil der Gesellschaft will dort nicht mehr mitmachen und geht eigene Wege.


Der klassische Ansatz geht über einen möglichst hochwertigen Bildungsweg. in eine entsprechend gut bezahlte Anstellung. Je höher der Bildungsgrad und damit auch das Einkommen, umso angesehener sind die Menschen in unserer Gesellschaft. Dieses Modell wird jedoch immer öfter abgewählt und Menschen versuchen einen anderen, eigenen Weg. Die Möglichkeiten gehen von der „Selbstversorgung“ über „Waste-Mining“ – sprich sich aus dem zu versorgen was andere wegwerfen -, bis hin zur „Work and Life Balance“.

Früher war es ein Privileg der ungebildeten Unterschicht, beispielsweise in Müllcontainern von Supermärkten nach Verwertbarem zu suchen. Dieses unterliegt einem grundlegendem Wandel. Immer mehr – auch hochgebildete – Menschen folgen dem Trend, um aus der sich dauernd beschleunigenden Gesellschaft auszusteigen. Es gibt Dokumentationen, was für hochwertige Lebensmittel zum Teil einfach achtlos weggeworfen werden, ein Fest für die „Waste-Miner“.

Der stetig steigende Anspruch an den Konsum ist eines der Hauptprobleme. Smartphones gehören ebenso wie Tablets mittlerweile zu den Grundbedürfnissen und es müssen immer die aktuellsten Modelle sein. Dieses Anspruchdenken zieht sich durch alle Bereiche und sorgt so für einen ewig steigenden Bedarf an Finanzmitteln und den Zwang irgendwie das notwendige Kleingeld zu erwirtschaften oder sich eben zu verschulden.

Aktuell lese ich das Buch von Roland Forberger, „Über das Wesen unserer Zeit: Eine philosophische Reise in die Vergangenheit und Zukunft zugleich„, wo ich eine Passage besonders passend finde. Diese möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

„Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich meinem BWL-Lehrer die Frage stellte, wie ein System funktionieren kann, welches auf endlichen Ressourcen wie Boden, Arbeit und Kapital beruht und stets nach Wachstum verlangt. Er gab mir keine Antwort. Unterbewusst war damit klar, dass BWL nicht mein Studienziel sein würde, wenn es nicht einmal auf diese Kernfrage eine Antwort weiß.“

Heute las ich zum Thema „Aussteiger“ einen sehr interessanten Artikel beim Spiegel. Der Titel lautet „Freiwilliger Karriereverzicht: Mit 500 Euro das große Glück“. Es geht um einen Mann, der sein VWL-Studium mit der Spitzennote von 1,0 abgeschlossen hat, Auslandssemester und Praktika hinter sich und damit eigentlich in die Riege der Spitzenverdiener einsteigen könnte. Er hingegen hat sich bewusst dagegen entschieden und lebt nun mit bescheidenen finanziellen Mitteln aber einem großen Posten verfügbarer Zeit. Er ist auch keiner der „Totalverweigerer“ sondern möchte arbeiten um zu leben und das bedeutet für Ihn im Augenblick eine 10 Stunden Woche.

Ein Zitat aus dem Spiegelartikel:

„Ich darbe nicht, mir geht es gut“, sagt von Jorck. Und wer ihm länger zuhört, begreift: Er meint das so. Das wenige Geld sieht er nicht als Einschränkung, im Gegenteil: Je weniger er braucht, desto weniger abhängig ist er.[1]

Für die Zukunft hat er etwas andere Pläne, eine Familie lässt sich mit 500 Euro nicht ernähren. Dann will er auf 20 Stunden in der Woche aufstocken, ein Monatsgehalt von 1200 ,- Euro so hat er sich errechnet dürfte dafür genügen. Einen Burnout wird er auf diese Weise nicht bekommen, das ist auf jeden Fall sicher. Diese Lebensweise erfordert eine Entscheidung und Konsequenz, allerdings kann es dann auch durchaus befriedigend sein. Manche Menschen leben es im totalen Extrem, das jedoch ist nicht seine Sache. Eben jeder nach seiner Meinung.

Carpe diem

[1] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/verzicht-auf-konsum-und-karriere-portraet-des-berliners-von-jorck-a-942518.html


http://jorck.wordpress.com/


14 Responses to Teile der Gesellschaft im Wandel: Zeitwohlstand als echter Reichtum?

  1. steinmetz sagt:

    Das ist ein interresanter Artikel
    Auf die Frage : was brauche ich wirklich zum Leben? gibt es sicherlich 1000 verschiedene Ansichten und Antworten.
    Mein Schwerrpunkt liegt darin, gebrauchte und alte Dinge zu reparieren und wieder zu nutzen. Das kann man sicherlich bis zum Exzess ausreizen doch strebe ich eher die goldene Mitte an.
    Mittlerweile arbeite ich „nur“ noch 30 Stunden und kann mit den Verdienst ganz gut leben und klarkommen.
    Nun stehe ich gerade vor der Entscheidung ob ich nicht doch ein Haus fürn Appel und nen Ei von Grund auf Saniere und nach eigenen Gusto gestalte.( so als Lebensaufgabe )
    Vielleicht nur noch 20 Stunden Job und die restliche Zeit für mich selbst und meine Lieben arbeiten.
    mal schauen Gruß Steinmetz

  2. Statler sagt:

    Hallo zusammen,

    frei verfuegbare und sinnvoll verbrachte Lebenszeit als den eigentlichen Reichtum zu betrachten setzt natuerlich einiges voraus.
    Sowas machen Leute, die aufgrund ihrer Qualifikation Geld schaufeln koennten, aber freiwillig darauf verzichten.
    Der Harzer, der Fahrrad faehrt und dann erzaehlt, er tue dies aus Ueberzeugung, ist hingegen unglaubwuerdig.

    Ich kenne einige Leute, die ihre Arbeitszeit nach unten optimieren und stattdessen viel Zeit mit ihren Familien verbringen. Die betrachten Arbeit voellig emotionslos als Deal „Lebenszeit gegen Geld“.

    In den unteren Bildungsschichten definiert man sich aber immer noch primaer ueber materielle Dinge, da besteht meiner Meinung nach wenig Hoffnung auf baldige Veraenderung.

    Das positive an unsere Gesellschaft ist, das man nicht gezwungen wird, jedes Jahr 3% mehr zu konsumieren. Niemand hintert einen daran, den Konsum runterzufahren und weniger (abhaengig) zu arbeiten.

    Achim

  3. Herbert Ludwig sagt:

    Es geht um die Frage nach dem Wesentlichen im Leben. Ein „Zitat des Tages“ vor ein paar Tagen lautete: „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave“.(Friedrich Nietzsche)Die meisten von uns sind danach Sklaven, nicht Herren ihrer selbst. Eines der größten Probleme ist natürlich die Arbeits-Sklaverei, in die man durch die Notwendigkeit des Einkommens gezwungen wird. Dabei hat man schon vor hundert Jahren ausgerechnet, dass durch die Industrialisierung und Automatisierung jeder eigentlich nur noch ca. 3 – 4 Stunden atäglich rbeiten müsste, wieviel weniger heute. Die Maschinen setzen den Menschen vielfach frei. Der Staat hätte die Aufgabe, die weniger notwendige Arbeitszeit festzusetzen – bei vollem Lohn natürlich, dann wären dem Profit der Kapitaleigner schon mal Grenzen gesetzt. Und der Mensch könnte sich den wesentlichen Dingen des Lebens zuwenden.

    Denn das Eigentliche des Menschseins spielt sich ja im geistig-kulturellen Leben ab, durch das sich der Mensch erst über das Tier erhebt. Die Fragen nach der Erkenntnis der Welt, nach dem Woher und Wohin des eigenen Wesens, dem Sinn des Lebens, treiben das wissenschaftliche, religiöse und künstlerische Streben des Menschen hervor, in dem sich sein über eine tierische Existenz hinausgehendes Menschentum entfaltet.
    Das Wirtschaftsleben dient ja lediglich der Sicherung und dem Komfort der leiblichen Existenz und ist vom entsprechenden Verhalten des Tieres nicht im Prinzip, sondern nur durch die größere gedankliche Raffinesse unterschieden, durch die der Mensch seine durch den Leib bedingten Bedürfnisse zu befriedigen sucht.
    Während sich das Leben des Tieres aber weitgehend in der Sicherung seiner irdischen Existenz erschöpft, bildet das Wirtschaftsleben des Menschen erst die Grundlage, um darauf sein eigentliches Menschsein, seine seelisch-geistige Entwicklung entfalten zu können.

    Diejenigen Menschen, die in der automatisierten Wirtschaft absolut nicht mehr gebraucht werden, und die werden zunehmen, können dann im kulturellen und sozialen Leben eine Arbeit finden, wenn die Wirtschaftsunternehmen Teile ihres Gewinnes dem Kulturellen,insbesondere dem Bildungsleben, schenken, dem sie ja letztlich alle ihre Fähigkeiten verdanken.

    Siehe Gedanken dazu:
    http://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/10/25/arbeitslosigkeit-manipulation-der-gesellschaft-mit-einem-verengten-begriff/

    http://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/07/14/der-verlust-des-menschlichen-oder-die-unterdruckung-der-kultur/

  4. Irmonen sagt:

    ich verkleinere derzeit mein Leben auch radikal, Wohnen von ca 60qm auf 28qm und aussortieren von allem Überflüssigen und es überrascht mich doch wie schwer mir das loslassen von lange nicht im Gebrauch gewesenem fällt, „man könnte es doch noch gebrauchen – irgendwann…“.
    und
    Schritt für Schritt fühle die damit verbundene Entlastung!

  5. Jens Blecker sagt:

    Also im Augenblick ist wieder etwas Schwung bei der Immigration gekommen, wenn das durch ist, steht mir noch kollosales Entrümpeln bevor Oo .

  6. Pidder Lüng sagt:

    Hallo Platte 🙂

    Hattest Du neulich schon gepostet.

    Sind beide gut; besonders aber „Weniger arbeiten – mehr leben“, fand ich…

    Merci 😉

  7. Pidder Lüng sagt:

    „Je höher der Bildungsgrad und damit auch das Einkommen, umso angesehener sind die Menschen in unserer Gesellschaft.“

    Das haben sich bestimmt viele Eltern für ihre Kinder genau so ausgerechnet und dann, als sich bei nicht Wenigen aus Bildung und sich daraus ergebenden weiterführenden Fragen und der Suche nach plausiblen Antworten so völlig unerwartete und problematische Dinge wie selbstständiges Denken entwickelten, ganz schön dumm aus der Wäsche gekuckt.

    Als dann auch noch die Hoffnung zerstob, dass diese Marotte sich in klingender Münze und glänzendem Titel ihre Balance suchen würde, weil diese komischen Kinder stattdessen lieber den heiligen Materialismus verspotteten und ewige römische Gesetze und ihre Befolger mit nie gehörten Argumenten der Lächerlichkeit preisgaben, war für die solcherart zum zukunftsweisenden Generationswechsel aufgeforderten Entscheidungsträger ganz klar:

    Das Abendland ist in Gefahr !

    Zuviel Bildung macht krank und muss zugunsten der Erhaltung gewachsener Strukturen und eherner Traditionen unbedingt vernünftiger dosiert werden.

    Wo kämen wir da sonst auch hin ?
    😉

  8. Gravel sagt:

    Ich finde es eine tolle Entwicklung. Weniger Arbeit = weniger Geld = Weniger Energie für dies „pervertierte System“. Habe auch auf der Arbeit meine Arbeitszeit von 40 auf 35 h verringert. Zeit ist doch einfach wertvoller als Geld. Werde zwar von einigen als „Alien“ bei der Arbeit betrachtet z.B. weil ich essen gehen als Luxus empfinde. Dafür hab ich aber mehr Zeit mit der Familie. Zur Zeit überlege ich mir einen Jobwechsel wo wohl auch weniger Geld drin ist aber mir die Tätigkeit mehr liegt. Somit kann ich meine Lebensqualität erhöhen und darum geht´s doch.

    Also Energie aus dem System. Der Garten wird auch umgestaltet damit wir G[eld]emüse pflanzen können.

  9. Tommmm sagt:

    „….Ohne hier zu tief einsteigen zu wollen, die Wurzel liegt bereits im Geldsystem begründet…..“

    Ich denke die Wurzel des Übels ist das Privateigentum an Produktionsmitteln…

    Um daraus Kapital zu schlagen bedient man sich dann verschiedener Werkzeuge, z.B. Medien oder des jetzigen Geldsystemes……

    wenn du das Geldsystem bekämpfst und vielleicht sogar änderst, wird es ein neues Werkzeug geben…..aber die Wurzel des Übels bleibt….

  10. fuggerinessen sagt:

    Ich kann dir nur empfehlen die Stunden weiter zu reduzieren. Ich arbeite inzwischen nur noch 24 Stunden. Jeder Freitag ist frei. Eine weitere Reduzierung lässt meine Firma leider nicht zu.

    Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu haben ist mit nichts zu bezahlen.

  11. michaelbunny sagt:

    Zeit ist auf jeden Fall wertvoller als alle Schätze des Orients … Um auf Karriere zu verzichten muss man nicht gleich auf 20 Stunden reduzieren. Ich lasse jedem das seine … und teils ist es schon sehr amüsant wie der Rest sich müht und plagt. Es ist nicht mehr meine Baustelle.

    Das mit dem Narhungsmittel wegzuwerfen … das ist wahrlich ein ‚Frevel‘. Die Begründung die ins Feld geführt wird – Wie kommen ‚wir‘ die zahlenden Kunden dazu, dass andere die sich das nicht leisten können auch noch etwas abbekämen, da wären wir ja die ‚Trottel‘. Es möge der Leser sich frei entscheiden, ob es die Weitergabe von Nahrungsmittel bedarf, damit er letztgenannterer Gruppe angehört.

    Das zeigt einiges über die Geisteshaltung der Bevölkerung zumindest in Mitteleuropa … Der Mensch sieht nicht gern, was ihm selbst blühen könnte… und meiner Ansicht nach wird.

    Im Überfluss produziertes gehört unter die Leut … egal ob mit oder ohne Tauschmittel.

  12. michaelbunny sagt:

    Das ist noch nicht das Problem.

    Wenn man aus der Sicht des Berufsleben argumentiert, sind es einfach karrieregeile geldsüchtige Sozigschrappen die noch immer nicht kapiert haben, dass Mitteleuropa ein Abart des Sozialismus praktiziert und sie in dem System nicht Ruhm und Glorie kommen, … rotznäsige Emporkömmlinge.

    Deswegen!

    http://www.youtube.com/watch?v=GJXpcSUGeYk

    Wie heißt es so schon … he gets 50 cents of every dollar – kommt das jemanden bekannt vor?

    http://www.youtube.com/watch?v=eNThkj3yQII

  13. Pidder Lüng sagt:

    „Ich denke die Wurzel des Übels ist das Privateigentum an Produktionsmitteln…“

    Ja – danke auch für Deinen Versuch, Tommm, aber Du weisst ja, wie’s ist:

    „Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie.
    Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie.“
    Aldous Huxley

    und um diesen Ablauf mit einem Zitat zu unterstreichen, kann man ausser Gandhi zB. auch Schopenhauer nehmen, der die erste Phase der Ignoranz überspringt und mit der 2ten beginnt:

    „Eine neue Idee wird in der ersten Phase belächelt,
    in der zweiten Phase bekämpft,
    in der dritten Phase waren alle immer schon begeistert von ihr.“

    Obwohl; so neu ist die Idee ja nicht; eigentlich ist das Neuere ja die Überzeugung, dass „Privateigentum an Produktionsmitteln“ völlig normal sei.
    Auch dazu hat Freund Arthur was gesagt:

    „Ja, es gibt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald es gelungen ist, sie zu überreden, diese sei allgemein akzeptiert.“

    Ich hoffte ja, dass sich ’n paar bezahlte oder selbsternannte Kommunistenjäger auf Deinen Köder stürzen würden, aber die sind wohl alle auf Shareholdermeetings.?

    Naja – nachdem jetzt Rudi Dutschke mit viel positiver Resonanz von Jens zum Thema des Tages gepusht wurde, kann man vielleicht auf einen baldigen Artikel über erweitertes Basiswissen hoffen…
    🙂

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