Das Ideal der Internet-Demokratie und die subtile Meinungsmache

Erdogan hat Twitter als einen Fluch bezeichnet. Für seine Gegner sind derartige Internet-Plattformen wohl eher ein Segen. Die oppositionellen Kräfte nutzen Twitter, um die neuesten regierungskritischen Nachrichten zu lesen und zu posten; sie nutzen Facebook, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich zu organisieren; sie nutzen youtube, um sich – häufig mit selbstgedrehten Videos von Protesten – ihre politische Meinung kundzutun, zu überzeugen und Mitstreiter zu gewinnen. „Facebook-Revolution“ war ein Schlagwort während des „Arabischen Frühlings“, dessen damaligen zarten Blüten schnell wieder verwelkt sind. Begünstigen solche Kommunikations-Plattformen wirklich die Demokratisierung unserer Gesellschaft? Die jungen Generationen, für die der Umgang mit den Kommunikationstechnologien eine Selbstverständlichkeit des Alltagslebens ist, glorifizieren die Errungenschaft des Internets und ihre zugeschriebenen positiven Effekte häufig – doch werden die damit verbundenen Manipulationsmöglichkeiten und Gefahren oft übersehen.

Trainierte Facebook-Revolutionäre

Wenn von „Facebook-Revolution“ die Rede ist, wird oft als erstes an den Arabischen Frühling gedacht. Nach allgemeinem Tenor hat sich das Volk gegen die repressiven Regimes ihrer Länder erhoben. Um sich zu organisieren, haben sie sich der Möglichkeiten, die Facebook bzw. das Internet bietet, bedient. Dass die Bevölkerung in den arabischen Ländern im Durchschnitt sehr jung – und deshalb ein Großteil im Umgang mit dem Internet geübt – ist, hat den Effekt verstärkt. Die Entwicklungen auf diese Sichtweise zu reduzieren bzw. sie zu simplifizieren, verklärt jedoch die Situation.

Von NGOs unterstützte Oppositionelle haben eine zentrale Rolle bei den Aufständen gespielt. Bevor der „Arabische Frühling“ im Dezember 2010 in Tunesien seine Anfänge nahm, wurden bereits Aktivisten von den NGOs ausgebildet, die in den jeweiligen Übergangsregierungen leitende Positionen übernahmen. 16 Personen einer Gruppe aus Regierungs-Gegnern, die später als „Jugendbewegung des 6. April“ eine bedeutende Rolle während der Aufstände spielen sollten, waren 2009 bei einem zweimonatigen Workshop des NGOs „Freedom House“ in Washington. Sie wurden in Rechtsfragen geschult und trafen sich mit Kongressabgeordneten, Pressevertretern und Mitarbeitern von Think Tanks. Dieselben Personen waren bereits 2008 bei Veranstaltungen der „Association of Youth Movements“ in New York. Dort waren mehrere Vertreter amerikanischer regierungsnaher NGOs anwesend. Es haben unter anderem Workshops stattgefunden, bei dem die künftigen Rebellen lernten, die Internet-Überwachung des ägyptischen Staates zu umgehen oder Facebook und Twitter effizient für ihre Zwecke zu nutzen. Die renommierten britischen Tageszeitungen „The Telegraph“ und „The Guardian“ deckten diese Praktiken der amerikanischen Nichtregierungsorganisationen kurz nach dem Beginn der Revolten in den arabischen auf. Ganz so zufällig scheinen die Ereignisse des Arabischen Frühlings und der damit verbundene „spontane“ Einsatz des Internets nicht verlaufen zu sein.

Wie außen, so innen

oguz_ikn_h2Die Allianz Five Eyes (FVEY), die aus Geheimdiensten aus den USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands besteht, ist der umfassendste Überwachungsapparat der Welt. Der Krieg um Informationen hat auf dem digitalen Schlachtfeld schon längst begonnen. In Anspielung auf die Annexion der Krim durch Russland habe laut Julian Assange allen voran die NSA und der britische Dienst GCHQ die ganze Welt durch globale Spionage annektiert. Internet-Überwachung und Cyberkrieg zielen unter anderem darauf ab, bestimmte nachrichtendienstliche und militärische Informationen zu erlangen. Informationen werden zudem genutzt, um Meinungen im eigenen Interesse zu beeinflussen. Wie beim Arabischen Frühling auch, wurden auch im aktuellen Ukraine-Konflikt soziale Netzwerke genutzt, um – ebenfalls unter Mitwirkung von NGOs – Desinformationen und Propaganda zu streuen.

Die Einflussnahme der Geheimdienste, um politischen Ziele durchzusetzen, beschränkt sich nicht alleine auf die Außenpolitik. Wie der „Telegraph“ Anfang letzten Jahres berichtete, habe die EU beschlossen, eine „Einsatztruppe“ ins Leben zu rufen, die EU-kritische Blogs mithilfe von „Meinungsagenten“ zu unterwandern. Die Agitatoren sollen in den Kommentaren EU-Aktionen missbilligende Beiträge mit Gegenargumenten versehen, um kritischen Meinungen entgegenzuwirken. Ihre Zahl soll bei über 2000 liegen. Zurzeit, wenige Wochen vor den Europawahlen, sollten sie vermutlich besonders aktiv sein.

Schmutzige Tricks

Im Rahmen der Snowden-Enthüllungen hat der Guardian-Journalist Glenn Greenwald neue Dokumente zu den taktischen Methoden der GCHQ veröffentlicht. Die Abteilung namens JTRIG („Joint Threat Research Intelligence Group“) soll unter anderem Gruppendynamiken stören und Personen diskreditieren. Die Kenntnis über irrationale Verhaltensmuster des Menschen werden geflissentlich genutzt, um Gedanken und Handlungsweisen bzw. politische Diskussionen im Netz zu beeinflussen. Eine auf dem US-Sender veröffentlichte Präsentation mit dem Titel „Die Kunst der Täuschung – Training für eine neue Generation verdeckter Online-Operationen“, die für die JTRIG-Mitarbeiter verfasst wurde, macht ihrem Namen alle Ehre. Sie zeigt „Schmutzige Tricks“, um Feinde zu stören, die Strukturen zu zersetzen und zu zerstören sowie gezielt zu verleumden. Die so genannten Feinde sind jedoch nicht andere Staaten oder Terroristen, sondern politische Initiatoren, Unternehmen oder Einzelpersonen, deren Einstellungen und Aktivitäten nicht ungesetzlich, sondern lediglich unwillkommen sind. Fragen investigativer Journalisten an den britischen Geheimdienst, wie sich die Arbeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren ließe, blieben bisher unbeantwortet. Ihre Stellungnahmen sind immer sehr allgemeiner und oberflächlicher Natur.

Die Aufgabe der EU-Staaten und ihrer Behörden sollte es sein, die Prinzipien der pluralistischen Demokratie für jeden Einzelnen anwendbar zu machen und sie zu schützen. Dass Extremisten und Radikale überwacht werden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit und unerlässlich. Doch unter dem Deckmantel der Extremismus-Bekämpfung, die Meinungen derjenigen zu manipulieren, denen sie es eigentlich ermöglichen müssten, ihre Ansichten frei auszudrücken, grenzt, sehr diplomatisch ausgedrückt, schon fast an feudalistischen Zügen.

Psychologische Lenkung der Massen

Die wissenschaftsbasierten Vorgehensweisen der JTRIG weisen viele Überschneidungen zu den Erkenntnissen des Tavistock Institutes in London auf. Das Institut, das soziologische Forschungen betreibt, wurde 1947 – u.a. von der Rockefeller Foundation unterstützt – gegründet und ist für die EU tätig. Es wurde ursprünglich 1921 vom britischen „Büro für Kriegspropaganda“ initiiert. Tavistock analysiert u.a. Gruppendynamiken und Herdenverhalten. Es werden auch psychologische Profile erstellt, um die „Feinde“ – beispielsweise in Verleumdungs-Kampagnen – effizient bekämpfen zu können. Der Task-Force von JGRIT greift auf dieser Grundlage in kontroverse Debatten im Internet ein. Es werden Scheinidentitäten (Socket-Puppets) erstellt, um Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen, indem z.B. in Kommentar-Foren Stories gepusht werden. Häufig laufen diese parallel zu den Themen, die gleichzeitig in den globalen Massenmedien vertreten sind.

In den Jahrzehnten der Forschung, sollte das Tavistock Institute, dass unter anderem mit Forschungseinrichtungen der Stanford Universität kooperiert, genügend Zeit gehabt haben, um ausgefeilte Techniken zu entwickeln, mit der die Meinung der Öffentlichkeit beeinflusst werden kann. Die Möglichkeiten sozial- und verhaltenswissenschaftliche Methoden zur Meinungsbeeinflussung zu nutzen, ist womöglich weiter vorangeschritten als man es sich gemeinhin vorstellen kann.

Anonym – und investigativ?

Geheimdienste arbeiten naturgemäß im Verborgenen. Das Problem dabei: Wenn sie gegen das Gesetz verstoßen und somit sogar Persönlichkeitsrechte der Bürger verletzen, tritt es meist nicht ans Tageslicht. Der „Vorteile“ von Operationstaktiken, die geheim bzw. im Schutze der Anonymität durchgeführt werden, bedienen sich auch die Hacker-Aktivisten. Gegen die Hacktivisten von Anonymous ist JTRIG massiv vorgegangen. Das ist nicht verwunderlich, weil sie auch illegale Praktiken von Geheimdiensten oder Regierungen, wie beispielsweise von der NSA oder dem Pentagon, offenlegen, indem sie teils auch geleakte Dokumente veröffentlichen.

Inwieweit die faktisch illegalen Maßnahmen von Anonymous, an Informationen zu gelangen, verwerfbar sind, ist eine weitgehend rechtsphilosophische Frage. Auf der einen Seite verstoßen ihre Aktionen oft gegen geltendes Gesetz, auf der anderen Seite übernehmen sie die Arbeit des investigativen Journalismus, die für die Wahrung der Demokratie unentbehrlich sind. Wenn die Massenmedien ihrer investigativen Pflicht nachkommen würden, wäre Anonymous dann nicht automatisch überflüssig? Ob sie bloß kriminelle Nerds oder legitime Widerstandskämpfer des digitalen Zeitalters sind, ist eine sehr bedeutende Frage in Hinsicht auf Internet-Demokratie.

Fazit

Ohne Weiteres darauf zu vertrauen, dass sich der Staat und all seine Behörden an die ihnen auferlegten Gesetze halten, wäre schlichtweg naiv. Ein Blick – auch in die jüngste – Geschichte zeigt, dass sich Staaten oft genug gegen die Interessen des Volkes richten oder ihre Vernachlässigung fahrlässig in Kauf nehmen. Ein solches blindes Vertrauen hat nichts mehr mit mündigem Bürgertum zu tun, sondern vielmehr mit Vasallen, die sich für frei halten, weil es ihnen eingeredet wird.

Wenn die kritische Presse, oppositionelle Politiker oder Bürgerinitiativen ihre Aktivitäten als korrektive Elemente des politischen Systems nicht ausüben können bzw. gezielt daran gehindert werden, ist die freie Entfaltung der Gesellschaft – und das Wirken pluralistischer Kräfte – dann dadurch nicht erheblich eingeschränkt? Sogar in Gefahr? Oder bereits ausgehebelt? Die freie Entfaltung ist eine Maxime der Demokratie, aber die Freiheit und damit ihr evolutorischer Reifungsprozess wird mit JTRIG, Troll Patrol u.ä. ohne eine verfassungsrechtliche Grundlage behindert.

Ist der Bewohner des globalen Dorfes namens Internet generell gesehen überhaupt darauf aus, seine Geistesgüter zu schützen und spricht er ihnen gemeinhin einen ideelen Wert zu? Ist es in Ordnung, dass sie nonchalant und willkürlich mit ihren Daten herumwerfen – weil sie ja nichts zu verbergen haben…? Wenn die Menschen ihre Gedanken in der digitalen Welt freiwillig preisgeben und damit dafür sorgen, dass staatliche Institutionen (im weitesten Sinne auch Großkonzerne) ihre politischen Einstellungen überprüfen, ihre Verhaltensmuster studieren und ihre Erkenntnisse sogar gegen Personen einsetzen, die sie (evtl. aus repressiven oder undemokratischen Gründen heraus) als Gefahr ansehen und verleumden, können sie dann wirklich frei sein? Es reicht nicht, dass sich die technischen Möglichkeiten ändern oder hochgejubelt werden, um demokratische Gesellschaftsstrukturen zu schaffen. Die bloße Anwendung des Internets führt noch lange nicht zu einer besseren Welt. Am Ende müssen sich immer noch die Menschen selbst ändern – und aktiv werden.


3 Responses to Das Ideal der Internet-Demokratie und die subtile Meinungsmache

  1. Habnix sagt:

    „Ist der Bewohner des globalen Dorfes namens Internet generell gesehen überhaupt darauf aus, seine Geistesgüter zu schützen und spricht er ihnen gemeinhin einen ideelen Wert zu?“

    Also von mir ausgesehen ist diese virtuelle Dorf nur dazu da, das ich mein Wissen und meine Erfahrung kostenlos weiter gebe und austausche.So sah ich das Internet als einer für alle und alle für einen.Einer für die Welt und die Welt für einen und für die Menschheit in dem Sinn ein riesen Fortschritt.Bis uns das Internt aufkärte das es Machtverssene gibt die nicht im Traum an das Glück der Menschheit denkt.Die statt das Internet zum guten für die Menschheit einsetzt, es zum schlechten einsetzen wollen.

  2. … noch mal was anderes zum Internet – ist euch auch aufgefallen, dass das Internet seit Anfang dieses Jahres irgendwie lahm, ausgebremst ist?
    Ich habe nur eine 16000er Leitung, da macht es sich bemerkbar, wenn da was fehlt.
    Mir kommt es so vor, dass alles extrem viel umgeleitet wird.

    Umgeleitet über NSA-Server?

  3. saxxator sagt:

    „Am Ende müssen sich immer noch die Menschen selbst ändern – und aktiv werden.“

    Andersrum: Am Ende müssen sich die Menschen ändern und passiv werden: Kein Facebook nutzen, kein Twitter-Account, kein WhatsUp, nicht bei Amazon einkaufen, kein Online Banking, max. 1000€ auf dem Konto …usw. = Totale Verweigerung der Neuen Welt (-Ordnung)!
    Dann wird ein Schuh draus. Die einzige Form eines wirkungsvollen Widerstands ist heutzutage sich komplett zu verweigern.
    Noch bekomme ich meine Infos auch so. Der Rest interessiert mich nicht. Und obwohl ich gerade mit Chromium im Netz bin, bin ich langsam dabei komplett auf Glitzer und Shiny zu verzichten. IK-News sieht auch mit Links2 (Textbasierter Browser ohne Werbung etc…) ganz gut aus. Ist halt nur schwer Schritt fürt Schritt zurück zu den Wurzeln zu gehen.
    Im Übrigen ist das Internet schon ne tolle Sache. Nur war es wohl nie für die „Menschheit“ oder eine „bessere Welt“ gedacht. Auch schwer vorstellbar, wie auch, da es ja eine, zugegeben fortschrittliche, Erfindung im Auftrag des US-Militärs ist… Also Internet und Demokratie verhält sich in etwa wie Deutschland und souveräner (Sozial-) Staat.

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