LVZ: Regierung deckte „gezielte Liquidierung“ in Kunduz und „Eskalationsstrategie“ in Afghanistan

Bundeskanzleramt, Außenministerium, Geheimdienstleiter, BND, KSK und nun auch noch die CIA: neue Informationen zum 4.September dringen an die Öffentlichkeit.

Die Bundesregierung, Generalinspekteur Schneiderhahn, das Verteidigungsministerium, sowie „mit der Koordination der Geheimdienste beauftragte Regierungsvertreter“ folgten „vor und nach dem umstrittenen Luftangriff bei Kundus am 4. September“ einer im Juli insgeheim beschlossene neuen „Eskalationsstrategie“ in Afghanistan. Das berichtet die Leipziger Volkszeitung (1) in einer neuen Pressemitteilung, die sich auf Informationen aus dem Militär, sowie vertrauliche Regierungsdokumente stützt.

Mit im Boot: die CIA. Wie die Zeitung mitteilt , waren die deutsche Auslandsspionage „Bundesnachrichtendienst“ (BND), sowie das „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) „in Abstimmung“ mit der US-Auslandsspionage „in die Entscheidungsstrukturen einbezogen“. Bei der im Juli, nur Monate vor der Bundestagswahl, „vom seinerzeit amtierenden Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan den Offizieren vorgegebenen Eskalationsstrategie“ sei es „auftragsgemäß auch im Bedarfsfall um die gezielte Liquidierung der Führungsstruktur der Taliban“ gegangen.

„Es ist jetzt an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen“, zitiert die Leipziger Volkszeitung den damaligen obersten Militär Schneiderhahn, aus einer Begründung zu dieser Bundeswehr-Offensive in Afghanistan. Auch der damalige Verteidigungsminister und Militär-Oberbefehlshaber Franz-Josef Jung wird in dem Bericht zitiert: man sei „in Kundus besonders herausgefordert“.

„Durch die von der politischen und militärischen Zentrale in Berlin ausgegebene neue Eskalationsstufe, nach US-amerikanischem Vorbild“, habe sich der lokale Isaf-Befehlshaber in Kunduz, Oberst Georg Klein, zu seinem Befehl des Bombardements einer Menschenmenge um zwei angeblich entführte Tanklaster 5 Kilometer vom Isaf-Stützpunkt „ermutigt gefühlt“. Das berichten, so die LVZ, „Truppenangehörige des in Leipzig bei den Panzergrenadieren stationierten Oberst Klein gegenüber der Zeitung“. Auch aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam erhielt die Leipziger Volkszeitung dafür eine Bestätigung. Oberst Klein, so die Quellen der LVZ im EinsFüKdoBw, „durfte sich nach diesen Regierungsvorgaben regelrecht ermutigt gefühlt haben, einmal kräftig durchzugreifen“.

Gestern zitierte die Süddeutsche Zeitung (2) einen Untersuchungsbericht von Isaf-Oberbefehlshaber und Afghanistan-Kommandeur Stanley McChrystal, der auch einen von Oberst Klein selbst verfassten Bericht beinhaltete. In diesem gab Klein an, er habe bei dem Bombardement „die Taliban `vernichten`wollen“. Im Untersuchungsbericht der Isaf heisst es dazu, der deutsche Kommandeur „wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge“.

Der Frankfurter Rundschau (3) lag gestern ein Bericht des Regionalkommandos Nord (Regional Command North) vor, dem Oberkommando über die deutsche Besatzungszone.  Zum Zeitpunkt des Luftangriffs von Kunduz am 4.September kommandierte dieses Brigadegeneral Jörg Vollmer. Nach den deutschen Parlamentswahlen, noch während den Koalitionsverhandlungen und vor dem teilweisen Regierungswechsel in Berlin, ging am 3.Oktober das Oberkommando auf Brigadegeneral Jürgen Setzer über. Diesen wiederum holten am 29.November, so heisst es, plötzlich auftretende unerwartete Probleme ein. Er musste am 29.November „aus gesundheitlichen Gründen in die Heimat zurückkehren“, so der reichlich zivile Eintrag bei Wikipedia.

Brig.Gen. Setzer diente von 2001-2004 im Bundesverteidigungsministerum, erst als Referent im Planungsstab unter Generalleutnant Wolfgang Schneiderhan (ab Juni 2002 Generalinspekteur und damit oberster deutscher Militär)  und danach unter Ministerialdirektor Franz H. U. Borkenhagen. Ab 2004 war Setzer Operationsgeneralstabsoffiziers (G3) der Division Spezielle Operationen unter dem Kommando von Generalmajor Rainer Glatz in Regensburg. Zur DSO gehört bekanntlich auch das Kommando Spezialkräfte (KSK). Von 2006-2007 war Setzer Stabschef der DSO und im Einsatz in Afghanistan. Wie Oberst Klein war der heutige Brig.Gen. Jörg Setzer vom Juli 2007 bis zum Januar 2008 lokaler Isaf-Kommandeur in Kunduz. Zum Zeitpunkt des Luftangriffs in Kunduz am 4.September befehligte er die Luftbewegliche Brigade 1, die ebenfalls der DSO untersteht.

Setzers Nachfolger als Oberkommandeur der deutschen Besatzungszone wurde am 29.November Brigadegeneral Frank Leidenberger, ebenfalls Elitesoldat. Leidenberger hatte vor Setzer als DSO-Stabschef in Regensburg gedient, von 2004-2006. Nun wurde er nach Setzer Chef des Regionalkommandos Nord. Zum Zeitpunkt des Luftangriffs in Kunduz am 4.September war Brig.Gen. Leidenberger Kommandeur der Luftlandebrigade 31, ebenfalls Teil der DSO.

Im Artikel der Frankfurter Rundschau (3) heisst es nun über den Bericht des Regionalkommandos, dieses sei über den Ablauf des Luftschlages in Kunduz überhaupt nicht informiert gewesen. Die heute durch die Leipziger Volkszeitung öffentlich gemachte Tragweite des Vorgangs mit einbezogen, ergibt sich vielmehr folgender Eindruck:

die Operation in der Nacht vom 3.  auf den 4.September wurde direkt aus der Bundesregierung heraus gesteuert, am Regionalkommando vorbei.

„Verwundert“, so die Frankfurter Rundschau, habe das Regionalkommando Nord in Masar-i-Sharif vermerkt, dass Oberst Klein sich laut Einsatzprotokoll am 4.September um 00.14 Uhr erst mit seinem Flug-Leitoffizier, Oberfeldwebel W., eigens habe „treffen müssen“. Nach Standardprozedur sitzen Isaf-Kommandeur und Flugleitoffizier („Red Baron 20“) eigentlich im gleichen Raum, im Gefechtsstand des Lagers, so die FR. Den „Mutmassungen“ des eigenen Isaf-Oberkommandos in Mazar-i-Sharif zufolge sei der Luftschlag aus der Operationszentrale der „Task Force 47“ (TK 47) befehligt worden, um, wie es hiess, deren „besseren technischen Mittel zur Lagedarstellung und live Empfang des ROVER-Livevideos zu ermoeglichen“. Die TK 47, heisst es in dem Bericht, gehöre dem KSK.

Der Frankfurter Rundschau liegt offenbar auch ein persönlicher Bericht vom lokalen Isaf-Kommandeur in Kunduz, Oberst Klein, vor. Dieser schrieb nur einen Tag nach dem von ihm befohlenen Luftangriff, der mindestens 139 Tote forderte, in einem persönlichen Schreiben an Generalinspekteur Scheiderhahn, es sei ihm bei dem Bombardement nicht nur darum gegangen, die Tanklaster, sondern „auch Taliban-Führer auszuschalten“. Diese seien „eine ständige und wachsende Bedrohung für die Gegend Kundus gewesen“. Deswegen hätte er in der Absicht gehandelt, „notfalls auch ihren Unterstützern in den Dörfern Verluste zuzufügen„.

Dass es sich bei der Menschenmenge um die „entführten“ Tanklaster der Isaf, 5 Kilometer vom eigenen Stützpunkt entfernt, wirklich ausschliesslich um „Taliban“ gehandelt habe, dass habe Klein demzufolge habe er aus drei Quellen erfahren. Erstens aus angeblich sehr viel besseren Luftbildern als die mittlerweile öffentlich gemachten, und zweitens / drittens von der afghanischen Spionage, deren Dienstname die Frankfurter Rundschau mit „INS“ angibt.  Bisher leidlich in der ßffentlichkeit bekannt ist der „NDS“, das „Nationale Sicherheitsdirektorat“ („National Directorate of Security“), welches laut Angaben deutscher Bundeswehr-Offiziere in Kabul eng mit dem deutschen BND zusammenarbeitet.

„Ein afghanischer Agent“ habe mehrfach versichert, so Klein, dass es sich bei der Menschenmenge um die Tanklaster ausschliesslich um „Taliban“ gehandelt habe. Der Agent habe mit den „Taliban“ telefoniert. Wie die FR gestern weiterhin schrieb, hätte der afghanische Geheimdienst desweiteren gegenüber Klein angegeben, „die Telefongespräche mehrerer Taliban-Führer in der Nacht überwacht“ zu haben und mitgeteilt, dass sich diese „vor Ort befänden und ausdrücklich nur ihre Unterstützer zu den Lastwagen durchließen.“

Eine Behauptung, die mörderisch war. Aber wer leitete sie an den Isaf-Befehlshaber Oberst Georg Klein weiter? Und welche Rolle spielte die CIA?

Die damalige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Aussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) hatte, den vorliegendenden Informationen zufolge, mit vor Ort anwesenden Spionen mehrerer Staaten und Spezialeinheiten des Militärs diese Operation direkt unter ihrer Kontrolle. Sie trägt auch die Verantwortung dafür.

Die Aufklärung dieser Staatsaffäre aber nur dem umgewandelten Verteidigungsausschuss zu überlassen, der mit seiner personell grösstenteils kontinuitiven Besetzung eine Mitverantwortung an dem Tod von 139 Menschen durch unterlasse Aufsicht der Regierungsbehörden und der Militäraktivitäten trägt, käme der Akzeptanz eines neuen deutschen Vernichtungskrieges nach dem 2.Weltkrieg gleich.

Wenn es die derzeitigen Oppositionsparteien „SPD“, „Bündnis 90/Die Grünen“ und „Die Linke“ mit der Aufklärung der Kunduz-Affäre wirklich ernst meinen, müssen sie einen eigenen Untersuchungsausschuss des Parlamentes beantragen, der öffentlich tagt und zur Willensbildung der Bevölkerung über den versteckten Krieg in Asien beiträgt.

Wenigstens das sollte die Berliner Republik den Opfern von Kunduz schuldig sein.

(…)

11.12.2009 Bericht: Aussenministerium direkt in Kunduz-Bombardement verwickelt
Afghanistan: Nach Informationen der ß?BZß? war am frühen 4.September nicht nur ein Vertreter des BND, sondern auch ein Vertreter des Berliner Auswärtigen Amtes (AA) unter Frank-Walter Steinmeier im deutschen Isaf-Hauptquartier in Kunduz anwesend.

04.12.2009 Oberst Klein: Wer war ß?sein Geheimdienst-Chefßß
In der Kunduz-Affäre drücken sich Presse, Parteien, Militär und Spionage um die entscheidenden Fragen. Radio Utopie wird diese gern noch einmal erläutern.

23.11.2009 US-Spezialeinheiten bilden offiziell ß?Anti-Talibanß? in Afghanistan aus
Strategiewechsel in Washington: Vieles spricht dafür, dass derzeit durch die zivile US-Regierung jahrelang vertuschte Praktiken von Militär und Milizen in den Kriegsgebieten bekannt gemacht werden, um diese unter Kontrolle zu bekommen. Dabei gerät auch die deutsche Regierung auf dünnes Eis ß? mitsamt ihrem Militär und der Auslandsspionage. Bis zum 13.Dezember muss die Vollmacht für ein weiteres Jahr Besatzung in Zentralasien durch das Berliner Parlament unterschrieben sein. Und nun berichten hochrangige US-Regierungsmitglieder, dass u.a. in der deutschen Besatzungszone ß?Anti-Talibanß? Tribute und Schutzgeld von der Bevölkerung erpressen.

28.10.2009 NYT: Karzais Bruder organisiert als CIA-Agent Todesschwadronen aus altem ß?Talibanß?-Hauptquartier
Laut einem ß?New York Timesß?-Bericht, mit Quellen aus der US-Regierung, ist Ahmed Wali Karzai nicht nur in massive Drogengeschäfte verwickelt, sondern hilft der CIA, welche ihn bezahlt, auch im Betrieb von Todesschwadronen ß? direkt aus einer US-Militärbasis heraus. Derweil traf US-Aussenministerin Hillary Clinton zu Gesprächen mit der pakistanischen Regierung in Islamabad ein. Begleitet wurde ihr Besuch von blutigen Attentaten in Kabul und Peshawar. Und am Freitag trifft sich Präsident Barack Obama mit seinen ranghöchsten Militärs im Weissen Haus, um ihnen seine Afghanistan-Pakistan-Strategie zu erläutern.

06.09.2009 Bundeswehr-Oberst befahl offenbar nach BND-Behauptungen Luftangriff auf sichtbare Menschenmenge: 125 Tote
Afghanistan: Der deutsche ISAF-Kommandeur liess nach Angaben eines Nato/ISAF-Sprechers fast nach eine Stunde nach Eintreffen der ersten Bomber und Vorliegen von Luftaufnahmen bombardieren. Dabei stützte er sich auf Behauptungen eines Geheimdienstvertreters im Operationszentrum.

Quellen:
(1) http://www.presseportal.de/pm/6351/1529081/leipziger_volkszeitung
(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/61/497367/text/
(3) http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2137498_Bundeswehr-in-Afghanistan-Oberst-wollte-Taliban-toeten.html


2 Responses to LVZ: Regierung deckte „gezielte Liquidierung“ in Kunduz und „Eskalationsstrategie“ in Afghanistan

  1. matt sagt:

    Vor einer Woche versuchte Präsident Obama in seiner Rede in West Point die Eskalation des Kriegs in Afghanistan als Einstieg in einen baldigen Rückzug der amerikanischen Truppen zu verkaufen. Seitdem ist zunehmend deutlich geworden, dass die Rede ausschließlich der Täuschung der ßffentlichkeit diente.

    Die Rede war darauf ausgerichtet, die ßffentlichkeit zu chloroformieren, um der breiten Ablehnung des Kriegs in der ßffentlichkeit umso besser trotzen und sie desorientieren zu können.

    Inzwischen ist klar, dass Obama nicht nur entschieden hat, die militärische Besetzung Afghanistans unbefristet fortzuführen, sondern den Krieg in gewaltigem Ausmaß nach Pakistan auszudehnen.

    Schon wenige Stunden nach der Rede waren Regierungsvertreter damit beschäftigt, Obamas Bemerkungen über den Beginn des Rückzugs der US-Streitkräfte ab Juli 2011 „klarzustellen“, um deutlich zu machen, dass es keine derartige Frist gebe und dass amerikanische Truppen noch lange nach diesem Datum in Afghanistan bleiben werden. Es hat sich jetzt herauskristallisiert, dass zentrale Bestandteile von Obamas Kriegsplan eine Intensivierung der amerikanischen Raketenangriffe mit unbemannten Drohnen in Pakistan und der Einsatz von amerikanischen Sondereinsatztruppen auf pakistanischem Staatsgebiet zur Verfolgung von Aufständischen sind.

    Obama erwähnte die Ausdehnung des Kriegs nach Pakistan in seiner Rede mit keinem Wort. Die New York Times berichtete am Dienstag unter Berufung auf einen ungenannten hohen Berater des Präsidenten: „Wir haben frühzeitig beschlossen, dass, was immer man in Pakistan vorhat, es unklug wäre, viel darüber zu reden.“

    Die Times führt schon seit Monaten eine Kampagne für eine Eskalation des Kriegs und seine Ausdehnung nach Pakistan. Sie berichtete einen Tag nach Obamas Rede, dass das Weiße Haus schon im vergangenen Monat die Ausdehnung von CIA-Operationen in Pakistan genehmigt habe
    http://www.wsws.org/de/2009/dez2009/afpa-d11.shtml

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