Gesteuerte Wahrnehmung – Vom Nachrichtensparmenü mit Themensandwich und Blabla-Pommes-Frites.
Es war der 8. Oktober 2008 an dem in Deutschland etwas Sonderbares geschah. An diesem Tag fand auf Einladung von Angela Merkel ein Treffen mit Chefredakteuren und führenden Journalisten statt über das es keine Protokolle, stattdessen nur schemenhafte Andeutungen gibt. Nach dem offenen Ausbruch der weltweiten Finanzkrise bat Merkel die Journalisten seinerzeit darum „zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren“.
Gastbeitrag von The German Perspective
Und ein Großteil der deutschen Journalisten tat worum man sie gebeten hatte. Meldungen wurden selektiert, konditioniert, arrangiert, versteckt oder ohne jegliche kritische Würdigung aus Textbausteinen der großen Agenturen übernommen und veröffentlicht. Durch entsprechende Schritte war es den Massenmedien somit möglich Zug um Zug die Wahrnehmung der Bürger zu steuern.
Dieses System der Wahrnehmungssteuerung durch mediale Zurückhaltung wurde in den letzten fünf Jahren derart perfektioniert, dass z.B. eine große deutsche Tageszeitung wie die Welt durch Schichtung und Anordnung von thematisch ähnlichen Meldungen als besondere Strategie entwickelt hat – das „Nachrichtensparmenü“.
Ähnlich dem Besuch in einem Schnellrestaurant, erhält der Leser hier Fastfood in Form eines „Themensandwich“ mit „Blabla-Pommes-Frites“. Zwar hat dieses Menü keinen großen Nährwert, macht aber prima satt…
Ein illustres Beispiel hierfür liefert die Welt Online am 15. Januar 2013 gegen 10.20 Uhr.
Direkt seinem Plastiktablett erblickt der geneigte Leser einen gelöst lächelnden Finanzminister der, so scheint es, mit einer Überschrift flirtet. In der betreffenden Meldung verkündet die Onlineredaktion der Welt, dass Deutschland „zum ersten Mal seit 2007“ einen „Staatsüberschuss“ erwirtschaften wird. Solchermaßen beruhigt, nimmt der Welt-Leser anschließend auch kaum wahr, dass es sich hierbei nur um eine Annahme handelt und der „Überschuss“ sich in einem statistisch kaum messbaren Bereich von 0,1% (bzw. 1/1000) bewegt.
Betrachtet man die Startseite der Welt zu diesem Zeitpunkt genauer so fällt die durchaus interessante Anordnung der einzelnen Themengebiete untereinander auf. Die jeweilige Anordnung findet sich im Folgenden mit nummerierten Pfeilen markiert.
Besonders auffällig ist dabei, dass die 1-3, 4-6 und7-9 thematisch zusammengehören und jeweils durch ihre geschichtete Staffelung als ein mehr oder minder „Themensandwich“ serviert werden. Ähnlich der Anordnung in einem Sandwich gibt es hier harte (schlechte) und weiche (gute) Schichten – hm, lecker!
Ein Beispiel:
So lässt sich feststellen, dass die Meldungen 1-3 das „Verschuldungs-Sandwich“ bilden. Wobei die Meldung Nr. 1 des „Staatsüberschusses“ als recht positive Meldung die Grundlage des ersten Sandwichs, quasi das Toastbrot, bildet. Hier wird der Eindruck suggeriert, die positive Leistung unserer Bundesregierung, allen voran des Herrn Finanzministers sei für einen gewaltigen Überschuss verantwortlich und die Schuldenkrise somit bald vorüber. Bezieht man jedoch Meldung Nr. 2 über das sinkende „Finanzvermögen“ des deutschen Staats ein, wird eine schlechte Nachricht (der Käse)
auf die gute gelegt und in gewissem Sinn Verwirrung erzeugt. Den versöhnlichen Schinkenbelag bildet eine Meldung über die Staatsfinanzen der USA, die „stärker verschuldet sind als Griechenland“ und deren Situation im ersten Satz des Artikels als „katastrophal“ bezeichnet wird. Mit dieser, letzten Meldung schafft die Redaktion einen für die deutschen Leser positiven Abschluss, da hier suggeriert wird, anderen Ländern ginge es noch viel, viel schlechter als Deutschland ja und sogar Griechenland.
Eine deckungsgleiche Vorgehensweise findet sich in den Themen 4-6 „Inflations-Sandwich“ sowie 7-9 „Goldreserven-Sandwich“. Wobei in der letzten Meldung des „Inflations-Sandwich“ sogar der Eindruck erweckt wird, dass einfach zu viel weggeworfen wird und deshalb die Lebensmittelpreise steigen.
Besonders perfide dabei ist, dass „gute“ wie „schlechte“ Nachrichten durchmischt und größtenteils ohne kritische Bezugnahme dargestellt werden. Dermaßen gefüttert erhält der Leser zwar das subjektive Gefühl informiert zu sein, findet jedoch objektiv zu den einzelnen Themen kaum oder nur geringfügig vertiefte Informationen – das Menü ist also wenig nahrhaft. Schließlich bleibt es jedem selbst überlassen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Sollte der Leser an dieser Stelle noch nicht genug vom Tripple-Decker-Sparmenü haben, erhält er als Sättigungsbeilage, die mit grünen Pfeilen markierten Füllthemen in Form von „Blabla-Pommes frites“. Hier steht zu lesen, dass der Verkehrsminister die Verkehrszeichen nicht kennt und Ostfriesen-Witze niemals aus der Mode kommen. Spätestens danach ist jeder pappsatt und schiebt das Tablett mit den nun leicht ekelhaft wirkenden Überbleibseln des Nachrichtensparmenüs angewidert von sich.
Die Journalisten bzw. Köche dieses Menüs haben es auf diese Weise geschafft, alle Themen des Tages zu veröffentlichen (kein relevantes Thema musste weggelassen werden) ohne einen panischen Esser bzw. Leser zu hinterlassen. Dieser wähnt sich, von wohl sortiert und abgestimmten Nachrichten gefüllt, „medial informiert“ und kann nach schneller Stärkung nun weiter folgsam seinem Tagwerk frönen.
Während Wissenschaftler in den USA heute einen direkten Zusammenhang zwischen dem übermäßigen Genuss von Fastfood und Volkskrankheiten wie Fettleibigkeit und einhergehendem sinkendem Leistungsniveau herstellen, bleibt die Langzeitwirkung derart journalistisch, redaktionell aufbereiteter „Kost“ auf den Konsumenten derweil unklar.
Es steht zu hoffen, dass entweder die Leser oder Schreiber derartiger Menüs kurzfristig die Abkehr vom Fastfood schaffen.
4 Responses to Gesteuerte Wahrnehmung – Vom Nachrichtensparmenü mit Themensandwich und Blabla-Pommes-Frites.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
In den Nachrichten kommen eh` nur noch Fastfoodmeldungen für gehirndegenerierte… gestern z.B.
Da mir die „normalen“ Radiosender mit ihren grenzdebilen Morgenmännern und ständig „giggernden“ Moderatoren(wenn man die überhaupt noch so nennen kann)gehörig auf den Nerv gehen, höre ich fast ausschließlich nur noch reine Nachrichtensender wie MDR-Info oä..
Gestern haben die den Vogel mal wieder abgeschossen… zu jeder vollen und halbe Stunde kommen „ausführliche“ Nachrichten… und was war gestern die ERSTE Nachricht??
Das BAYERN MÜNCHEN EINEN NEUEN TRAINER HAT ! Es wurde ungelogen volle 5min über dieses Thema salbatert… unfassbar!!
Erstklassiger Beitrag, Vielen Dank!
Immerhin kommen sie damit in keinen moralischen Konflikt. Etwas wegzulassen, so relevant es auch sei, ist keine Lüge, nur äußerst unsittlich. Und dennoch eine interessante Interpretation von Informationsfreiheit. Je nachdem wer, was, wohin gebogen haben möchte.
An dieser Stelle ein großes Lob an dich, lieber Jens.
Der Vergleich mit Fastfood und deren Folgeschäden ist ein gelungenes Stück rhetorischer Raffiness, mit noch ungeahnten Ausmaßen. Ob diese Art der Informationsweitergabe irgendwann dazu führt, dass jegliche Sinneswahrnehmung nurnoch durch Starkstrom in irgendeiner Weise gereizt werden kann, bleibt zwar noch offen, aber das es Folgeschäden geben wird, steht ausser Frage.
Und vollkommen ungekaut, wird geschluckt was serviert wird. Mahlzeit.
Vielen Dank für das Lob, aber das Gebührt dem Schreiber The German Perspective.