Geschichte der Woche: Vom Vertrauen

In der Hauptstadt seines Landes lebte ein guter und gerechter König. Oft verkleidete er sich und ging unerkannt durch die Straßen, um zu erfahren, wie es um sein Volk stand.

Eines Abends geht er vor die Tore der Stadt. Er sieht aus einer Hütte einen Lichtschein fallen und erkennt durch das Fenster: Ein Mann sitzt allein an seinem zur Mahlzeit bereiteten Tisch und ist gerade dabei, den Lobpreis zu Gott über das Mahl zu singen. Als er geendet hat, klopft der König an der Tür: „Darf ein Gast eintreten?“ „Gerne“, sagt der Mann, „komm, halte mit, mein Mahl reicht für uns beide!“ Während des Mahles sprechen die beiden über dieses und jenes. Der König – unerkannt – fragt: „Wovon lebst du? Was ist dein Gewerbe?“ „Ich bin Flickschuster“, antwortete der Mann. „Jeden Morgen gehe ich mit meinem Handwerkskasten durch die Stadt und die Leute bringen mir ihre Schuhe zum Flicken auf die Straße“.

Der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit bekommst?“ „Morgen?“, sagte der Flickschuster, „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Flickschuster am anderen Tag in die Stadt geht, sieht er überall angeschlagen: Befehl des Königs! In dieser Woche ist auf den Straßen meiner Stadt jede Flickschusterei verboten! Sonderbar, denkt der Schuster. Was doch die Könige für seltsame Einfälle haben! Nun, dann werde ich heute Wasser tragen; Wasser brauchen die Leute jeden Tag.

Am Abend hatte er so viel verdient, dass es für beide zur Mahlzeit reichte. Der König, wieder zu Gast, sagt: „Ich hatte schon Sorge um dich, als ich die Anschläge des Königs las. Wie hast Du dennoch Geld verdienen können?“ Der Schuster erzählt von seiner Idee Wasser für jedermann zu holen und zu tragen, der ihn dafür entlohnen konnte. Der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit findest?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Schuster am anderen Tag in die Stadt geht, um wieder Wasser zu tragen, kommen ihm Herolde entgegen, die rufen: „Befehl des Königs! Wassertragen dürfen nur solche, die eine Erlaubnis des Königs haben!“ Sonderbar, denkt der Schuster, was doch die Könige für seltsame Einfälle haben. Nun, dann werde ich Holz zerkleinern und in die Häuser bringen. Er holte seine Axt und am Abend hatte er so viel verdient, dass das Mahl für beide bereitet war. Und wieder fragte der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit findest?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Am anderen Morgen kam dem Flickschuster in der Stadt ein Trupp Soldaten entgegen. Der Hauptmann sagte: „Du hast eine Axt. Du musst heute im Palasthof des Königs Wache stehen. Hier hast du ein Schwert, lass deine Axt zu Hause!“

Nun musste der Flickschuster den ganzen Tag Wache stehen und verdiente keinen Pfennig. Abends ging er zu seinem Krämer und sagte: „Heute habe ich nichts verdienen können. Aber ich habe heute Abend einen Gast. Ich gebe Dir das Schwert…“ – er zog es aus der Scheide – „…als Pfand! Gib mir, was ich für das Mahl brauche.“ Als er nach Hause kam, ging er zuerst in seine Werkstatt und fertigte ein Holzschwert, das genau in die Scheide passte.

Der König wunderte sich, dass auch an diesem Abend wieder das Mahl bereitet war. Der Schuster erzählte alles und zeigte dem König verschmitzt das Holzschwert. „Und was wird morgen sein, wenn der Hauptmann die Schwerter inspiziert?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Schuster am anderen Morgen den Palasthof betritt, kommt ihm der Hauptmann entgegen, an der Hand einen gefesselten Gefangenen: „Das ist ein Mörder. Du sollst ihn hinrichten!“ „Das kann ich nicht“, rief der Schuster voll Schrecken aus. „Ich kann keinen Menschen töten!“ „Doch, du musst es! Es ist Befehl des Königs!“ Inzwischen hatte sich der Palasthof mit vielen Neugierigen gefüllt, die die Hinrichtung eines Mörders sehen wollten. Der Schuster schaute in die Augen des Gefangenen. Ist das ein Mörder? Dann warf er sich auf die Knie und mit lauter Stimme, so dass alle ihn beten hörten, rief er: „Gott, du König des Himmels und der Erde: wenn dieser Mensch ein Mörder ist und ich ihn hinrichten soll, dann mache, dass mein Schwert aus Stahl in der Sonne blitzt! Wenn aber dieser Mensch kein Mörder ist, dann mache, dass mein Schwert aus Holz ist!“

Alle Menschen schauten atemlos zu ihm hin. Er zog das Schwert, hielt es hoch – und siehe: es war aus Holz. Gewaltiger Jubel brach aus. In diesem Augenblick kam der König von der Freitreppe seines Palastes, ging geradewegs auf den Flickschuster zu, gab sich zu erkennen, umarmte ihn und sagte: „Von heute an, sollst du mein Ratgeber sein!“


11 Responses to Geschichte der Woche: Vom Vertrauen

  1. Nver2Much sagt:

    Es gibt immer einen Ausweg. Wichtig ist ihn zu erkennen und ihn dann auch zu nehmen.

    Dafür bedarf es Mut, oder aber Vertrauen.

  2. 0815 sagt:

    Und die Moral?
    „“Von heute an, sollst du mein Ratgeber sein!”“
    Die „Unbeugsamen“ werden einverleibt. Jeder hat sein Preis!

  3. Nver2Much sagt:

    „““Von heute an, sollst du mein Ratgeber sein!””“

    Und am nächsten Tag gab er ihm den Rat gib „Deinen“ Reichtum Deinem Volk…

  4. Lilly sagt:

    Mein favorisiertes Ende:

    …In diesem Augenblick kam der König von der Freitreppe seines Palastes, ging geradewegs auf den Flickschuster zu, gab sich zu erkennen, umarmte ihn…
    …gab ihm Krone und Zepter und sagte: „Ab heute sollst Du der König sein!“

  5. Hallojulia sagt:

    …Da es aber dem Flickschuster aus tiefstem Herzen widerstrebte, über andere zu herrschen, rief er die Menschen des ganzen Reiches zusammen und verkündete:
    Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir, ein jeder nach seinen Fähigkeiten, in friedlichem und freundlichem Miteinander leben und es keine Herrschaft noch Knechtschaft geben soll.
    Amen

  6. Naturmensch sagt:

    Wenn man den Flickenschuster als Eu-Bürger betrachtet,wäre der letzte Schritt des Sogenannten Königs,……laaaang Überfällig.

  7. Irmonen sagt:

    sehr schöne Geschichte.

    Interessant ist für mich die Tatsache, dass der König den Ratgeber aus dem Volk bestimmt, einen der nicht korrumpierbar ist und geichzeitig gewitz, einer der sich vom König nicht über das Ohr hauen läßt.

    Auch die biologischen Körper funtkionieren nur! weil es eine unbstechliche Rückmeldung aus dem „Fußvolk an die Zentrale“ , d.h. von Organen und Zellen an das Steuerungssystem der Nerven und des Gehirns gibt. Anders wäre jeder Organsimus schnell erledigt.

    Doch der Mensch ins seinem verblendeten Wahn…..

    Ja und von wo stammt der Ratgeber der heutigen Politikksperles? aus den LobbiistenMafiaFamilys

  8. karugua sagt:

    Eine sehr schöne Geschichte. Der Schluss ist für mich allerdings unbefriedigend. Das System, die Hirarchie wird damit nicht besser. Wenn der König stirbt läuft es weiter wie bisher. Zudem wird der König nicht in allen Dingen auf seinen Ratgeber eingehen. Menschlich gesehen gibt es früher oder später Differenzen. Das System wird dabei kaum geändert werden. Und heute sind ja die Menschen austauschbar und das System wird trotzdem weiterlaufen.

    Wenn man nur das Geldsystem austauschen würde wären die heutigen Schweinereien leicht Geschichte. Das geht allerdings nicht ohne Reibungsverluste. Der König muss fallen. Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und dann die Räuberfamilie ausgestossen werden. Aber nicht ohne sie zu richten wo sie sich verteidigen können. Sie selbst richten ja ihre Mitmenschen ohne sich verteidigen zu können. Sie werden auf offener Strasse gemeuchelt.

  9. Irmonen sagt:

    Jedes menschliche System ist nur so gut wie seine Mit-Glieder, das heißt schläft die Merheit wird auch der „König“ und die Mit-Herrschenden entsprechend unbewußt agieren.

    Ohne einen Bewußtseinssprung oder deutliche Weiterentwicklung vom derzeitigen Standard, kann, wird die Menschheit auch keine wirklich neue Qualität des Miteinanders entwickeln, auch nicht auf Führungs- und Leitungsebenen.

    Alle bisherigen (alternativen)Versuche strotzen nur so vor Unzulänglichkeiten, auch bei bestem und aufrichtigstem Bemühen

  10. gandalf sagt:

    „Ohne einen Bewußtseinssprung oder deutliche Weiterentwicklung vom derzeitigen Standard, kann, wird die Menschheit auch keine wirklich neue Qualität des Miteinanders entwickeln, auch nicht auf Führungs- und Leitungsebenen.“

    Papperlappapp….

    Es war alles da…und ist es in Teilen noch! Bei den Indianern und anderen Naturvölkern – was der Menschheit als Fortschritt, als Entwicklung verkauft wurde – war nur ein gigantischer RÜCKSCHRITT.

    Standard?? Derzeitiger? man, was hier so zusammengeschrieben wird….

    Jedes menschliche System ist nicht so gut wie seine Mitglieder, sondern so gut, wie sein BEWUSSTSEIN!!!!

  11. karugua sagt:

    Bewusstsein hat mit Wissen zu tun. Daher Aufklärung, Aufklärung, so lange dies noch so einfach ist. Wir sind in der heissen Phase.

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