„Barschel ß? Die Akte“: Im Gespräch mit SPIEGEL-Redakteur Sebastian Knauer

Ein Tolles Interview ist mir zum Fall Barschel bei Spreerauschen aufgefallen. Es ist wirklich lesenswert. Vielleicht gibt dieses Interview neue Ansätze zur Recherche.

Von Ursula Pidun Spreerauschen.net

6. Oktober 2009, 12:40
I N T E R V I E W

[up] Vor wenigen Tagen erschien im B&S Siebenhaar Verlag Berlin eine beeindruckende Dokumentation: „Barschel ß? Die Akte, Originaldokumente eines ungelösten Kriminalfalls“. Der Herausgeber und derzeitige Spiegel-Redakteur Sebastian Knauer erinnert mit dieser Publikation eindringlich an einen der größten politischen Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Barschel-Affäre erschütterte 1987 das Land und zeigte politische Agitationen in einem für Bürger nicht mehr nachvollziehbarem Licht und vor dem Hintergrund vertrauenszersetzender Macht- und Intrigenspiele, die tödlich endeten.

Knauer stellt mit seiner Veröffentlichung erstmals Originaldokumente der staatlichen Stellen in den wichtigsten Auszügen aus den Ermittlungsakten zur Verfügung. Möglich und rechtes ist dies, da die Ermittlungsarbeiten nach vielen Jahren endgültig abgeschlossen wurden. Knauer ist allerdings nicht nur Herausgeber der Dokumente, die er unkommentiert präsentiert und Ermittlungsarbeiten, gerichtsmedizinische Fakten, dubiose Waffengeschäfte, zweifelhafte Medienvertreter und das Innenleben einer Politikerfamilie in den Fokus rückt. Vielmehr geriet er auf dem Höhepunkt des Skandals selbst hinein in den Sumpf eines Polit-Thrillers, der eigentlich in die Hände phantasiebegabter Krimi-Autoren gehört und nicht in die Realität politischen Schaffens. Denn Knauer – damals noch für das Nachrichtenmagazin STERN tätig ß? war jener Reporter, der am Sonntagmittag des 11. Oktober 1987 im Genfer Hotel Beau Rivage den toten Uwe Barschel auffand.

„Der Versuch, ein Interview mit einem lebenden Barschel zu bekommen, endete vor seiner Leiche“, schreibt der Autor in einem Epilog zu seiner Publikation. Fotos vom toten Barschel, die Knauer damals vor Ort erstellte, gingen um die Welt und gaben Anlass zu heftigsten Diskussionen hinsichtlich ihrer Veröffentlichung und ethischen Aspekten. Wie folgenschwer zudem Knauers Rolle als Zeuge dieser Tragödie wurde, lässt sich nur erahnen, denn er äußert in seinem Schlusswort auch: „Ich erlebte als Journalist, wie es sich anfühlt, selbst Opfer einer unfairen, diffamierenden und schlampig recherchierten Berichterstattung zu sein ß? eine heilsame Lektion.“

Nachgefragt: Ursula Pidun im Gespräch mit Sebastian Knauer, SPIEGEL-Redakteur und Herausgeber der Publikation „Barschel ß? Die Akte“.

Sebastian Knauer, die Akte Barschel wurde geschlossen, nachdem über einen extrem langen Zeitraum in unzählige Richtungen ermittelt wurde. Leider ohne definitives Ergebnis, sodass wohl Raum für weitere Spekulationen bleiben wird. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung bezüglich der Todesursache? Deutet eher alles auf Selbstmord oder Mord hin?

Beides ist möglich, so wie es auch zutreffend der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft Lübeck dokumentiert. Allerdings ist schon erstaunlich, dass es in einem so wichtigen Fall den beteiligten Polizeien und Staatsanwaltschaften in Genf und Lübeck auch 22 Jahre nach den Ereignissen nicht gelungen ist, eine definitive Antwort auf diese Frage zu geben. Und darin liegt auch die Tragik für die Familie Barschel. Der jüngste Sohn Christian Albrecht Barschel, der von einem Mord ausgeht, sagte mir: ß?Ich könnte mit jedem Ergebnis leben, das Schlimmste ist diese Unklarheitß?.
Zu einem Mord gehören Täter und Motive, beides liefert auch der leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille aus Lübeck nicht. Er spricht etwas nebulös von Verstrickungen des Ministerpräsidenten in Waffengeschäften der damaligen US-amerikanischen Iran-Contra-Affäre oder südafrikanischen U-Boot-Geschäfte in den Achtziger Jahre. Allerdings sei Barschel ß?nur am Randeß? mit Waffengeschäften befasst gewesen, sagt Wille. Diese vage Einschätzung halte ich für unbefriedigend. Denn sollte es ein Mord an einem amtlichen Geheimnisträger im Staatsauftrag gewesen sein, dann haben wir publizistisch noch eine große Enthüllung vor uns.

Wie sehr belastet Sie diese tragische Geschichte noch heute?

Es ist ein Fall, der mich nicht los lässt. Als Journalisten haben wir auch die Pflicht unaufgeklärte Geschichten zu verfolgen und zu Ende zu recherchieren. Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob ich etwas falsch gemacht habe. Wäre ich am Samstagabend in das Zimmer gegangen, hätte ich Barschel möglicherweise retten können. War es ein Suizid, so ist das eine ganz persönliche Entscheidung aus Gründen, die wir wohl nie erfahren werden.

Damals wollte Barschel ß? laut eigener Aussagen und Notizen – in Genf vermutlich mit einem Zeugen zusammentreffen, der möglicherweise Aufschluss darüber geben konnte, dass Barschel Opfer einer Intrige der übelsten Sorte geworden sei. Eine „raffiniert eingefädelte Intrige zwischen SPD, dem illoyalen, vom Springer-Verlag ausgeliehenen Mitarbeiter Rainer Pfeiffer und dem Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel“. Wäre so etwas überhaupt denkbar? Es hört sich abenteuerlich an.

Nach neueren Erkenntnissen ist das weniger abenteuerlich als bisher vermutet. Ich verstehe nicht, warum die Staatsanwaltschaft bis heute nicht den bereits sehr gut recherchierten Spuren eines SPIEGEL-Informanten nachgeht. Es geht dabei um einen bislang unbeachteten „dritten Mann“, der bei der Ankunftsszene Barschels am 10. Oktober 1987 auf dem Flughafen Cointrin anwesend war und sogar zufällig fotografiert worden ist. (Anmerkung der Redaktion: Foto auf S. 269 der Dokumentation „Barschel – Die Akte“). Sollte es sich bei diesem Mann im Trenchcoat wirklich um den mutmaßlichen Ministerialdirigenten aus einem damals Bonner Bundesministerium handeln, das auch in den deutsch-deutschen Beziehungen eine wesentliche Rolle spielte, dann ist seine Anwesenheit in Genf aufklärungsbedürftig. Insbesondere, da der Sohn dieses Mannes offenbar in dem sogenannten Bremer Fälschermilieu, zu dem Barschel-Mitarbeiter Reiner Pfeiffer enge Kontakte hatte, bekannt ist. Sollte sich die Identität des Dritten Mannes bestätigen, haben wir eine neue Situation im Kriminalfall Barschel. Dann könnten die letzten handschriftlichen Notizen des Uwe Barschel in Zimmer 317 über das Treffen mit dem mysteriösen Robert Ro(h)loff am Flughafen Genf doch der Wahrheit entsprechen.
Mit einer persönlichen Einschätzung ob Suizid oder Mord halte ich mich zurück. Es kommt auf die belastbaren Beweise und Akten an, deshalb auch dieser Dokumenten-Band.

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