Agenda des Abschreibens – Von der Informationsquelle zum Informationsfluss
Wasser aus verschiedenen Gläsern zu trinken, um Qualitätsvergleiche vorzunehmen, aber dabei nicht zu berücksichtigen, dass es aus derselben Quelle stammt, ist schlichtweg eine aberwitzige Beschäftigung. Genau das gleiche Prinzip wird jedoch tagtäglich von unzähligen Journalisten angewandt, wenn es um ihre vermeintlichen Quellen-Checks geht. Der so genannte „Information Sources Effect“ (Informationsquellen-Effekt) ist im Mediengewerbe sehr weit verbreitet und sorgt für die Vorspiegelung von Tatsachen, die scheinbar auf voneinander unabhängigen und sorgfältig geprüften Quellen basieren.
Zu den klassischen Regeln des Journalismus gehört es, dass einer Nachricht mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen zugrundeliegen müssen. Im Zeitalter des Internets wird dieser Grundsatz häufig so aufgefasst, dass es ausreicht, zwei Berichte zu finden, die sich auf die gleiche Quelle beziehen; und das ist dann auch schnell geschehen. Laut einer Studie nimmt sich der Journalist durchschnittlich 60 Sekunden pro Tag Zeit, um die Glaubwürdigkeit seiner Quellen zu checken. Eine Problematik dies betreffend stellt der so genannte „Information Sources Effekt“ dar. Er postuliert, dass mehrere Informationen im Prinzip auf ein und dieselbe Quelle zurückzuführen sind, doch als voneinander unabhängig wahrgenommen werden. Allein ihre ansteigende Menge und häufiges Auftauchen einer bestimmten Information bzw. Nachricht in den Massenmedien sorgt für ein zunehmendes Vertrauen bei den Empfängern, dass es sich um ein solide recherchiertes Thema handeln muss. Wie aktuell, relevant oder wahrheitsgetreu die Information in Wirklichkeit ist, bleibt bei diesem Quelleneffekt oft nicht in Frage gestellt.
Die primären Informationsquellen bilden beim Information-Sources-Effekt hauptsächlich die Nachrichtenagenturen. Sie selektieren die Informationen vor, die dann von den Redakteuren und Journalisten der (meinungsführenden) Mainstream-Medien übernommen werden. Weil nun zum Beispiel verschiedene Nachrichtensendungen im Fernsehen auf dieselbe Quelle zugegriffen haben, decken sich meist die aufgegriffenen Themen sowie der Inhalt. Der Nachrichtengegenstand der Tagesschau und des heute-journals sowie diejenigen gleicher Senderfamilien – SAT1 und N24 oder RTL und n-tv – gleichen sich aufgrund des Effektes im Allgemeinen sehr.
Bevor die (Massen-)Medien ihre angedachte Funktion als Informationsübermittler übernehmen können, müssen sie zuerst bestimmen, welche Themenschwerpunkte platziert werden. Diese Thematisierungsfunktion, mit der die ausgesuchten Inhalte auf die Tagesordnung gesetzt werden, wird als Agenda-Setting bezeichnet. Die sich darauf beziehende Agenda-Setting-Hypothese sagt aus, dass die Medien weniger die Einstellung der Empfänger der Medienbotschaften (Rezipienten) beeinflusst, sondern die Themen, über die Sie nachdenken. Die Medienwirkung besteht demnach nicht darin, was wir denken sollen, sondern worüber wir nachdenken sollen. Auf der ersten Stufe der Thematisierung geht es dabei lediglich darum, welche Inhalte überhaupt in der Berichterstattung auftauchen.
Auf der zweiten Stufe des Prozesses, dem so genannten Second-Level-Agenda-Setting, geht es um die stattfindenden Bewertungen. Mitunter werden Framing-Effekte mit dem Second-Level-Agenda-Setting gleichgesetzt. Als Framing-Effekt wird in der Psychologie die Beeinflussung des Verhaltens bzw. der Wahrnehmung bezeichnet, die durch unterschiedliche Formulierung eines Sachverhalts – bei gleich bleibendem Inhalt – hervorgerufen wird. (Fachspezifische Diskussionen bezüglich definitionsbezogener Meinungsverschiedenheiten zu dem Thema seien an dieser Stelle außen vor gelassen.) Ob das in der Einleitung erwähnte Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, dann als halb leer oder halb voll beschrieben wird, hängt davon ab, ob es – bewusst oder unbewusst – beabsichtigt ist, den Sachverhalt eher als negativ oder positiv darzustellen.
Die Medien sind nicht nur bloße Informationsübermittler, die stets unbestechliche Daten und harte Fakten liefern, sondern vielmehr „Informationsmacher“, weil sie die Art und Weise bestimmen, in der wir die von ihnen als wichtig erachteten und entsprechend ausgewählten Informationen vermittelt bekommen. Die Einflussgröße der Medien respektive Berichterstattungen sind damit von großer Bedeutung für die Publikumsagenda. Sich mit der Funktionsweise der Medien und ihre verschiedenen Einflussfaktoren auseinanderzusetzen, kann somit für eine profundere Analyse genutzt werden. In diesem Zusammenhang zeigt der Informationsquellen-Effekt, dass vor allem heutzutage die Unabhängigkeit der Quellen mehr als fragwürdig angesehen werden kann. Der entstehende Informationsfluss wird im wahrsten Sinne des Wortes schon an der Quelle beeinflusst, was schon von Beginn des Prozesses an, eine Einschränkung des Blickwinkels mit sich führt.
Wer die Zutaten des massenmedialen Einheitsbreis herausschmeckt, erkennt, dass sie aus demselben Topf stammen und meist auch die gleichen künstlichen Zusatzstoffe (wie „Farbstoffe“ oder „Geschmacksverstärker“) verwendet werden. Um der damit einhergehenden Gleichschaltung der nachrichtlichen Menükarten entgegenzuwirken, ist es unverzichtbar, die nötige Skepsis an den Tag zu bringen und nicht auszuschließen, dass die Berufung auf das saubere Gegenchecken der Quellen nicht selten nur illusorischer Natur ist. Wie heißt es konfuzianisch doch so schön: Wer an die Quelle kommen will, muss gegen den Strom schwimmen.
2 Responses to Agenda des Abschreibens – Von der Informationsquelle zum Informationsfluss
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Guter Artikel. Danke.
Es wird oft seitens der Pressebesitzer argumentiert, es gäbe nur wenige Nachrichteninformationsdienste und man bezahle genug dafür. Dazu kommt, das man seine „teuren“ Journalisten heutzutage nur am Schreibtisch haben möchte bzw. hier und da mal ein interview dazukommt. Desweiteren werden imme rmewhr Stellen abgebaut und die verbliebenen Journalisten müssen mehr Gebiete abdecken.
Ich möchte entgegnen: Das ist alles keinen Grund sich einseitig einer westlich geprägten Staats- und Konzerndoktrin unterzuordnen! Der kalte Krieg ist vorbei meine Herren Verleger.
Wo bleibt RIA NOVOSTI oder RT als Quelle? Nichts zu finden in den Leitmedien. Stattdessen Reuters, Reuters und nocheinmal Reuters. Oder gegenseitiges Abkupfern und Zuschieben.
Die Presse macht sich schuldig an der verdeckten Diktatur eines neuen Faschismus in Europa mitzuwirken.
Die Grenze von Einäugigkeit und Devotismus ist schon längst überschritten.
Vor allem die USA hatten mal eine gute Presse gehabt. Alles verloren im Gewinnmaximierungssog. Und die Leser laufen dennoch scharenweise weg.
Dieses „Problem“ ist nicht nur im Journalismus eines, sondern in der Wissenschaft genauso. Ich verwende dazu immer gern ein Beispiel das schon einige Jahre alt ist (ca. aus 2005):
Ziel: Vertrauen in die Forschungsergebnisse anderer aber gleichzeitig auch Verifizierung der Ergebnisse.
Problem: Wird dieser Aspekt zu sehr vernachlässigt z.B. weil der Veröffentlichungsdruck zu hoch ist und sich dann herausstellt, das die Ergebnisse falsch sind bzw. gefälscht wurden, so hat dies nachhaltige Folgen. Zuletzt beispielsweise im Bereich der Stammzellenforschung geschehen, bei welchem das Fachmagazin Science in nur acht Wochen die Publikation über „maßgeschneiderte menschliche Stammzelllinien aus dem Embryo“ durch einen Gutachterprozess geschleust hat, der für gewöhnlich drei bis vier Monate dauert. Als sich die Publikation des koreanischen Klon-Königs Hwang Woo Suk dann als falsch herausstellte, war zum einen Hwang Woo Suk entthront, zum anderen der Ruf von Science nachhaltig beschädigt.