SitCen – Verdeckter Geheimdienst oder Data-Center?
Die EU präsentiert sich mit den Internet-Aufritten zu ihren verschiedenen Institutionen in der Regel transparent und bürgernah. Doch wer auf eine Website des Europäischen Auswärtigen Dienstes nach ihrem Organ namens SitCen bzw. EU IntCen sucht, findet nur rudimentäre Informationen. Dabei handelt es sich um eine undurchsichtige Organisation, die von Skeptikern und Kritikern als Keimzelle eines europäischen Geheimdienstes betrachtet wird, der jegliche parlamentarische Kontrolle fehlt. Die Informations- und Kommunikations-Politik der auch als EU-Lagezentrum bezeichneten Abteilung ist sehr dürftig. Das lässt viel Raum für Spekulationen und wirft Punkte auf, die demokratisch höchst fragwürdig sind.
SitCen ist die Kurzform für „Joint Situation Centre (JSC)“, einem Organ des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) der EU, der nachrichtendienstliche Aufgaben übernimmt. Die nach der Umbenennung in EU INTCEN (EU International Centre) noch gemeinhin als SitCen bezeichnete Abteilung gilt als Keimzelle eines EU-Geheimdienstes. Obwohl die Gründung einer solchen Behörde vor zehn Jahren noch abgelehnt wurde, hat sich die Einstellung nach den Terroranschlägen in Madrid und London in 2004 / 2005 urplötzlich geändert. Im Eiltempo wurde das Lagezentrum SitCen aufgebaut, das Informationen von Europol, der militärischen Aufklärung der Mitgliedsstaaten bekommt und Zugriff auf Spionagesatelliten hat. Neben den eigenen Satelliten und Spitzeln stellen die Erkenntnisse nationaler Nachrichtendienste innerhalb der EU die bedeutendsten Informationsquellen dar.
Zu der Aufgabe der Organisation gehört es, Analysen zu sicherheitspolitischen Themen, Lage-Einschätzungen und Informationssammlung zur Vorbereitung von Missionen im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs-Politik der EU zu erstellen. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, ist für die SitCen verantwortlich. Die Aufgaben sind mit denen eines Auslands-Nachrichtendienstes im klassischen Sinne vergleichbar. Dennoch wird keinerlei parlamentarische Kontrolle auf ihre Arbeit ausgeübt. Dieser Punkt wurde in einer 2010 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie festgestellt und bemängelt.
Das EU-Lagezentrum war in den letzten Jahren nicht nur der Öffentlichkeit gegenüber sehr verschlossen. Mit Antworten auf Anfragen von Abgeordneten des EU-Parlaments und auf Anfragen von Journalisten hielt man sich unter dem Deckmantel allgemeiner Aussagen sehr zurück. Beispielsweise wird eine separate Auflistung des Budgets und seiner Verwendung für die SitCen nicht vorgenommen und ihre Veröffentlichungen werden unter Verschluss gehalten. Der EAD, in dessen Rahmen die SitCen offiziell als Krisenmanagementwerkzeug fungiert, sperrte sich gegen detaillierte Erklärungen.
Dieses äußerst intransparente Verhalten schürt die Skepsis der Kritiker. Es stellen sich beispielshalber folgende Fragen: Wenn Informationen von der Polizei, vom Militär und von Geheimdiensten in der SitCen zusammenfließen, wie wirkt sich das auf den Grundgedanken des Trennungsgebots zwischen diesen Institutionen aus? Wenn das Lagezentrum Geheimdienstinformationen nutzt, wieso soll es dann nicht auch wie ein Geheimdienst kontrolliert werden, um eventuellen Missbrauch zu unterbinden? Besteht durch die Komprimierung der Informationen, die von den verschiedenen Inlandsgeheimdiensten stammen, nicht die Gefahr, dass die SitCen im Vergleich zu den nationalen Diensten übermächtig wird?
Bei einer parlamentarischen Anfrage an die niederländische Regierung, die Ende November letzten Jahres stattfand, befanden sich unter den Antworten folgende Punkte:
- IntCen ist kein Geheimdienst, besitzt keine speziellen Befugnisse und führt selbst keine Informationssammlung durch. Die Beiträge der Mitgliedsstaaten werden auf freiwilliger Basis bereitgestellt.
- – Angesichts der Tatsache, dass SitCen lediglich strategische Analysen verfasst, keine persönlichen Daten verarbeitet, selbst keine nachrichtendienstliche Informationssammlung betreibt und die Informationen der Mitgliedsstaaten auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden, betrachtet der Rat die Situation dermaßen, dass keine spezielle Rechtsgrundlage für eine parlamentarische Kontrolle erforderlich ist. SitCen ist Teil des Europäischen Rates und sollte in gleicher Weise behandelt werden, wie jedes andere Organ des Ratssekreteriats. Daran hat sich auch seit der Verlegung zum EAD nichts geändert.
- – Alle Regularien, die normalerweise auf die europäischen Institutionen angewandt werden können, können in vollem Umfang ebenso auf die IntCen angewandt werden. Dies beinhaltet, den Zugang zu Dokumenten, Finanzvorschriften und die Vorschriften für das Personal (beinhaltet ebenfalls die Standards für die EU-Mitarbeiter). Alle rechtlichen Mittel und Maßnahmen, die gegen die Entscheidungen von europäischen Institutionen ergriffen werden können, sind auch für IntCen, als Teil des Europäischen Auswärtigen Dienstes, anwendbar. Der Europäische Ombudsman und der Europäische Gerichtshof sind gänzlich autorisiert, die Legalität der Aktionen von IntCen zu überprüfen.
Diese Antworten zeichnen das Bild, dass es sich bei der SitCen scheinbar um eine relativ harmlose Datenverarbeitungs-Abteilung handele. In allgemeinen Aussagen heißt überdies hinaus, dass nur offene Quellen mit niedrig eingestufter Klassifikation für die Analysen verwendet würden. Es finde keine Informationsgewinnung durch Außendiensteinsatz oder gar verdeckte Operationen statt. Beispielsweise bei derartigen Behauptungen tauchen Widersprüchlichkeiten auf. Nach der schweren Erdbeben-Katastrophe in Haiti Anfang 2010 verfügte die EU über keine intakte Informationsverbindung auf der Insel. Die SitCen verlegte eine eigene Einheit nach Haiti, um vor Ort die Infrastruktur wieder aufzubauen. Im Grunde wäre das TAST (Technical Assistance Support Teams) der EU, in die auch das deutsche Technische Hilfswerk eingebunden ist, für die Aufgabe prädestiniert und zuständig gewesen. Wozu dann dieser Einsatz? Ist es vielleicht ein Testlauf für operativ-personelle Aufklärung, die innerhalb der IntCen aufgebaut werden soll?
Die EU IntCen wird nicht als Geheimdienst betrachtet und unterliegt damit auch nicht entsprechender Kontrollverfahren, weil es den Intelligence-Kreislauf nicht komplett erfülle. Denn es würden nur Auswertungen offener Quellen, so genannter „Open Source Intelligence“ (OSINT), und niedrig eingestufter Erkenntnisse der Mitgliedsstaaten einbezogen. Bei der bloßen Analyse solcher Quellen, die jedem zugänglich sind, wäre es verständlich, dass die Organisation nicht als Nachrichtendienst eingestuft werden müsste. Auf eine parlamentarische Anfrage antwortete die Hohe Vertreterin der Kommission Catherine Ashton, dass auch als EU TOP SECRET eingestufte Verschlusssachen in den Räumlichkeiten des EU IntCen sicher übermittelt und ausgewertet werden könne. Das müsste nach aller Logik bedeuten, dass auch streng vertrauliche Informationen in offenen Quellen zu finden seien.
In diesem Zusammenhang wird auch nicht berücksichtigt, dass Informationen von Interpol, der Zugriff auf Spionagesatelliten und der Militärischen Aufklärung einfließen. SitCen ist ein Teil der SIAC (Single Intelligence Analysis Capacity), in der sie mit dem Nachrichtenwesen des Militärstabs (EUMS INT Direktorat) zusammenarbeitet. In der Antwort auf die parlamentarische Anfrage schreibt Ashton, dass im Rahmen der SIAC sowohl zivile als auch militärische Erkenntnisse in die nachrichtendienstlichen Bewertungen unter Heranziehung aller Informationsquellen einfließen. Über die konkrete Zusammenarbeit der beiden Abteilungen ist gemeinhin wenig bekannt. Wenn die IntCen von streng vertraulichen Informationen der EUMS INT Einblick bekommt, dann müsste sein Status ein anderer als ein reinen OSINT sein.
In den letzten Jahren haben sich Wissenschaftler und Journalisten, die sich mit dem Thema SitCen beschäftigt haben, häufig über die Intransparenz beschwert. Es gibt, wie erwähnt, nach wie vor keinen professionellen Webauftritt. Als die SitCen offiziell in EU IntCen umbenannt wurde, gab es keine einzige Pressemitteilung. Die Presse wird gemieden und wenn mal überhaupt auf sie eingegangen wird, wird sie mit oberflächlichen Erklärungen abgefertigt. Da ist es naturgemäß nicht verwunderlich, dass die Thematik es sehr schwer hat an die Presse, geschweige denn an die breite Öffentlichkeit zu gelangen.
Die mangelnde Transparenz wird einer demokratischen Grundeinstellung nicht gerecht. Die britische Vizepräsidentin der EU-Kommission bezeichnet IntCen als nachrichtendienstliches Drehkreuz des EAD. Der „Quasi“-Nachrichtendienst, der offiziell keiner ist, erfüllt eine Reihe von Indizien, die für einen parlamentarisch unkontrollierten Geheimdienst, der sich ohne Aufsehen zu erregen, sukzessive etablieren will, mehr als von Vorteil sind.
Die geheimdienstliche Aufklärung ist mit dem von der EU angestrebten Ausbau der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheits-Politik eng verknüpft. Die Strukturen wachsen immer weiter zusammen. Im Rahmen des Ausbaus der EU-Armee und europäischer Gendarmerie-Truppen, die aktuell verstärkt sowie eher sang- und klanglos vorangetrieben werden, ist der Verdacht, dass die Erweiterung des Quasi-Nachrichtendienstes fernab der Öffentlichkeit – dem theoretisch eigentlichen Souverän des Staates – umgesetzt werden soll, nicht abwegig.
4 Responses to SitCen – Verdeckter Geheimdienst oder Data-Center?
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Möglw. ein NATO Think Tank. Etwas salopp formuliert. Im Moment auf jeden Fall noch. Riecht danach.
Wie der Herr Schäuble sagte, ‚Der Nationalstaat ist überholt, …‘ sinnesgleich. Das einzige das der Nationalstaat heute nicht stemmt ist das Umfeld Krieg und Militär. Der Frieden in der Union erlaubt es Unfrieden in die Welt zu tragen. Wenn auch nicht heute.
Sonst fällt mir mal so wirklich nicht ein anderes Thema ein. Im Prinzip ist es relativ einfach. Dort wo Zentralismus drinnen ist, steht Militär drauf oder ähnlich gelagerte Interessen.
Jedweder Geheimdienst hat noch nie
unter einer wie auch immer gearteten
Kontrolle durch den „Souverän“
gestanden.
Das wurde/wird behauptet aber die letzten
Ereignisse um NSA sollten doch wohl
deutlich machen das die Nachfolger der
rothschildschen Nachrichtendienste ihren
Namen zu Programm haben.
SitCen stellt eine Abteilung in der EU-Maschinerie dar, die meines Erachtens zu den potenziell gefährlichsten zählt. Sie versteht es, Details und gar sich selbst sehr bedeckt zu halten sowie sich einer parlamentarischen Kontrolle geschickt zu entziehen.
SitCen ist sogar für eine EU rechtsstaatlich fragwürdig, die (sehr diplomatisch formuliert) das ein oder andere Defizit im Demokratieprozess aufweist.
Zurzeit bin ich übrigens daran, mit Interview-Partnern aus dem Europa-Parlament in Kontakt zu treten, um mehr darüber zu erfahren.
@Zartbitter: Auf jeden Fall ist das Volk nur „theoretisch“ der Souverän und in der Menschheitsgeschichte womöglich „praktisch“ nie wirklich gewesen..
Land unter Kontrolle
Es war einmal die Bundesrepublik Deutschland: ein Staat, in dem die Bürgerrechte hoch gehalten wurden – keine Bespitzelung, keine Wanzen, keine Geruchsproben von Regimegegnern. Die Presse war frei und kritisch, jeder durfte das sagen und schreiben, was er wollte. Und wenn einmal die Bürgerrechte angegriffen wurden, war der Sturm der Empörung groß. Da reichte eine aus heutiger Sicht geradezu lächerlich anmutende Volkszählung, um Massen auf die Straße zu bringen. Ganz anders sah es da hinter der Mauer in der DDR aus, dachte man im Westen. Doch all das war und ist ein Märchen. Auch in der Bundesrepublik gab und gibt es Abgründe, die bis heute geheim gehalten werden. Untersuchungen des Historikers Josef Foschepoth zeigen: Quer durch die Republik lagen während des Kalten Krieges – und liegen immer noch – geheime Abhöreinrichtungen. Tonnen von Briefen aus dem Osten wurden abgefangen, geöffnet und zum Teil vernichtet. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Alliierten, aber auch den westdeutschen Geheimdiensten nachrichtendienstlich ausgewertet und genutzt. Seit Konrad Adenauer unterschrieben alle Kanzler geheime Dokumente, die den Alliierten großzügige Rechte zugestanden, Rechte, die das westdeutsche Grundgesetz, zum Beispiel das Fernmeldegeheimnis, brachen. Mindestens bis zum Mauerfall war in Sachen Überwachung die Bundesrepublik nicht souverän. Ist sie es heute?
Quelle: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41243