Streikende Studentenschaft in Jena: Brief an die Republik
Wie zur Zeit in Dutzenden von Universitäten der Republiken Deutschland, ßsterreich und Schweiz, sind auch Räume der Friedrich-Schiller-Universität von Jena durch Studenten besetzt. Um ihre Standpunkte vor der ßffentlichkeit zu erläutern, haben diese einen offenen Brief an die Republik verfasst (1). Infokriegernews dokumentiert..
Wir bleiben hier!
Ein offener Brief an AlleUnsere Republik hat ein Problem: Sie will ganz offensichtlich eine neue Bildungs-Generation, die alle bereits vorher begangenen Fehler noch einmal begeht.
Seit Jahren werden Bildungsnotstand, Rückgang der Qualität und Möglichkeiten von Bildung und Ausbildungen, politische Passivität und diverse Verfallserscheinungen dieser Gesellschaft beklagt, in der wir aufwachsen, arbeiten und leben sollen. Verändert hat sich nichts. Sämtliche strukturellen Mängel, Defizite und Missstände, resultierend aus mangelhafter Parteien-Politik ohne Ideen, Mut und Perspektive, sind die gleichen wie vor 20 Jahren. Im Gegenteil, sind sie seitdem stetig nur noch schlimmer geworden.
Und nicht nur in der Berliner Republik ist dies so. Die Studierenden ßsterreichs haben vor ein paar Wochen mit ihrem ß?Audimaxismusß?, ihrem studentischen, bildungspolitischem Protest, ein Zeichen für die lang überfällige universitäre, bildungspolitische Einmischung in die Gesellschaft gesetzt. Sie halten ihr Engagement durch und haben bereits substantielle Erfolge erzielt.
Auch in den Universitäten der USA ist, zum ersten Mal seit 40 Jahren, die Studentenschaft wieder politisch bewusst und aktiv geworden. Nach einer Erhöhung der Studiengebühren in Kalifornien um 32 % – zur Lösung finanzieller Probleme, die nun wahrlich nichts mit Universitäten und Bildungsstätten zu tun haben – besetzten am frühen Freitag Morgen amerikanische Studierende ein Gebäude der traditionsreichen Berkeley-Universität. Eine Demonstration vor dem Campus unterstützte die Studentenschaft. Die Aktion endete am Freitag Abend.
Wir haben in Jena im Anschluss an die Demonstration zum weltweiten Aktionstag am 17.November die Hörsäle 4 und 5 der FSU in der CZS 3 für die Studentenschaft in Beschlag genommen, um den ersten Schritt zu einer bewussten politischen Einmischung in unsere und die allgemein-gesellschaftlichen Zustände zu machen: einen Raum für Diskussion zu schaffen. Präsent und konkret, nicht in Chatrooms, nicht in virtuellen Foren, nicht in Erklärungen, sondern lebendig vor Ort, wollen wir Bewusstsein gewinnen und vermitteln, weil dies als Studenten unsere Aufgabe war und ist. Wer sonst sollte dies in einer Bildungsrepublik tun? Und wer könnte es, außer uns?
Durch die Universitätsleitung wurde erklärt, dass an der FSU Raumnot herrscht. Vielen Dank, das wissen wir. Deswegen sind wir hier, genau darauf wollen wir aufmerksam machen, in Erwägung, dass dies niemand für uns erledigt und es keine glaubwürdige partei-politische, gesellschaftliche und schon gar keine wirtschaftliche Lobby für uns gibt, außer die Studentenschaft selbst.
Es geht nicht darum, unsere Bildungsbedingungen zu verschlechtern, es geht darum, sie konkret zu verbessern. Dazu bedarf es Druck, das wissen wir alle. Von allein machen die ß?Parteienß? gar nichts. Und es sind die ß?Parteienß?, die in den Stadt-, Landes- und Bundesparlamenten die Entscheidungen treffen, allzu oft von ß?privatenß?, also kommerziellen Profitinteressen einzelner Lobbygruppen, Konzerne und Banken geleitet, welche wiederum kein Interesse an einer wachen und bewussten Bevölkerung, sondern nur an einer Kontinuität ihrer meist im globalisierten Rahmen stattfindenen Profitprozesse haben. Eben deshalb drängen die Banken und Konzerne nicht nur über ihre Mittelsmänner in die Parlamente, sondern auch in die Bildungsstätten und Universitäten, um den notwendigen stetigen Nachfluss stromlinienförmiger Fachkräfte zu garantieren.
Mittlerweile ist ein immenser Reformstau, eine strukturelle Stagnation, ja eine fast systemische Anti-Innovation aller Bildungs- und Ausbildungsprozesse unserer Gesellschaft deutlich geworden. Ganze Schichten werden abgekoppelt oder ausgegrenzt, vermeintliche „Eliten“ sollen als willige Ausführungsgehilfen überholter und gescheiterter Wirtschaftsprozesse herhalten. Gleichzeitig werden, entgegen aller Versprechungen, die Gelder für die angeblich angestrebte „Bildungsrepublik“ gekürzt und gestrichen, so als ob man dem Einsickern kommerzieller Interessensgruppen in den universitären Bereich noch bewusst Vorschub leisten will. Und im selben Atemzug stellt der Staat den Banken ungeheuere Summen zur Verfügung, welche diese selbst mittels ihres Geldschöpfungsmonopols vorher aus dem Nichts geschaffen haben. Der Schuldenturm des Gemeinwesens bei den Banken nimmt epochale Ausmaße an. Gleichzeitig verlangt man die nächste gefügige Generation, die einfach immer so weiter macht, wie die vor ihr – dies kann so nicht weiter gehen!
Unterstützung, Anregung und Kritik sind bei dieser universitären Debatte wichtig. Wir laden alle aktiven Studierenden zur täglichen Versammlung um 18 Uhr ein.
Am Mittwoch, dem 25.November wollen wir um 20 Uhr eine Versammlung der gesamten Studentenschaft im HS 1 (Carl-Zeiß-Str. 3) abhalten, um über Perspektiven, Möglichkeiten und bereits erzielte Erfolge aktiven studentischen Engagements zu diskutieren, und dementsprechend auch zu entscheiden.
Wir verlangen eine Stellungnahme der Universitätsleitung zu den aufgestellten Forderungen – mindestens konkrete Angaben über Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortungen von allgemein erkannten, benennbaren Missständen und Defiziten.
Wir grüßen die Studierenden in Deutschland, in ßsterreich und in den Universitäten weltweit.
(…)
Quelle:
(1) http://jenabrennt.blogspot.com/2009/11/offener-brief-aus-dem-plenum.html
One Response to Streikende Studentenschaft in Jena: Brief an die Republik
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
[…] Streikende Studentenschaft in Jena: Brief an die Republik … […]